Harry Bosch 15 - Neun Drachen
abzusetzen versucht hat. Das hatte zur Folge, dass wir ihn festnehmen mussten, obwohl wir noch nicht genügend gegen ihn vorliegen hatten, und deshalb haben sie dann Maddie entführt.«
»Aber wer dahintersteckt, wissen Sie nicht?«
»Jedenfalls nicht sicher. Aber wenn ich wieder zurück bin, werde ich es herausfinden. Ich werde nicht eher Ruhe geben, als bis ich es weiß.«
Sun las mehr hinein, als Bosch beabsichtigt hatte.
»Selbst wenn Maddie nichts passiert ist?«, fragte er.
Bevor Bosch antworten konnte, begann das Handy in Suns Hand zu vibrieren. Eine SMS war eingegangen. Bosch beugte sich zu Sun hinüber, als der sie las. Die chinesische Nachricht war kurz.
»Was steht da?«
»Falsche Nummer.«
»Mehr nicht?«
»Er hat nicht angebissen.«
»Scheiße.«
»Und was jetzt?«
»Schicken Sie ihm noch eine SMS . Entweder er trifft sich mit uns, oder wir gehen zur Polizei.«
»Zu riskant. Dann versucht er vielleicht, sie loszuwerden.«
»Nicht, wenn er schon einen Käufer an der Hand hat. Sie haben selbst gesagt, dass sie viel wert ist. Egal, ob sie sie für Sex haben wollen oder wegen ihrer Organe, sie bringt viel Geld. Er wird auf keinen Fall versuchen, sie loszuwerden. Höchstens wird er versuchen, das Geschäft schneller abzuwickeln, und genau darin liegt unsere Chance«
»Wir wissen doch nicht einmal, ob das überhaupt die richtige Person ist. Es ist nur eine Nummer im Telefonbuch Ihrer Tochter.«
Bosch schüttelte den Kopf. Er wusste, dass Sun recht hatte. Auf gut Glück Textnachrichten zu versenden war zu riskant. Seine Gedanken kehrten zu David Chu zurück. Der AGU -Ermittler konnte ohne weiteres die undichte Stelle in dem Ermittlungsverfahren sein, das zur Entführung seiner Tochter geführt hatte. Sollte er jetzt riskieren, ihn anzurufen?
»Sun Yee, kennen Sie bei der Casino-Security jemanden, der den Namen und die Adresse herausfinden könnte, die zu dieser Nummer gehören?«
Sun dachte ziemlich lange nach, bevor er den Kopf schüttelte. »Nein, das können meine Kollegen nicht machen. Es wird zu Ermittlungen kommen wegen Eleanor …«
Bosch verstand. Sun musste alles tun, um die Auswirkungen auf seine Firma und das Casino so weit wie möglich zu begrenzen. Das ließ die Waage zugunsten Chus ausschlagen.
»Okay. Ich glaube, ich kenne da jemanden.«
Bosch klappte sein Handy auf, um sein Telefonbuch aufzurufen, doch dann merkte er, dass noch die SIM -Karte seiner Tochter darin war. Um wieder seine eigenen Daten zur Verfügung zu haben, tauschte er sie gegen seine eigene aus.
»Wen wollen Sie anrufen?«, fragte Sun.
»Jemand, mit dem ich zusammenarbeite. Er gehört der Asian Gang Unit an und hat in Hongkong Beziehungen.«
»Ist er der Mann, der vielleicht die undichte Stelle ist?«
Bosch nickte. Eine gute Frage.
»Es lässt sich jedenfalls nicht ausschließen. Aber es könnte auch jemand anders in seiner Einheit oder bei einem anderen Police Department gewesen sein, mit dem wir zusammengearbeitet haben. Jedenfalls bleibt mir im Augenblick keine andere Wahl.«
Als die Initialisierung des Handys abgeschlossen war, rief Bosch sein Telefonbuch auf und suchte Chus Handy-Nummer. Dann wählte er sie und sah auf die Uhr. In Los Angeles war es fast Mitternacht.
Chu ging nach dem ersten Läuten dran.
»Detective Chu.«
»David, hier Bosch. Entschuldigen Sie die späte Störung.«
»Von wegen spät. Ich arbeite noch.«
Bosch war überrascht.
»Am Fall Li? Gibt es etwas Neues?«
»Ja, ich habe den halben Abend mit Robert Li zusammengesessen. Ich versuche, ihn zu überreden, mit der Staatsanwaltschaft zu kooperieren, damit sie gegen Chang wenigstens wegen Erpressung Anklage erheben können.«
»Und? Macht er mit?«
Chu antwortete erst nach einigem Zögern.
»Bisher nicht. Aber ich habe noch bis Montagmorgen Zeit, um ihn weichzuklopfen. Sie sind noch in Hongkong, oder? Haben Sie Ihre Tochter schon gefunden?«
Chus Stimme bekam etwas Dringliches, als er sich nach Madeline erkundigte.
»Noch nicht. Aber ich habe einen Anhaltspunkt. Allerdings bräuchte ich dabei Ihre Hilfe. Könnten Sie den Besitzer einer Hongkonger Handy-Nummer für mich herausfinden?«
Ein weiteres Zögern.
»Harry, dazu ist die Polizei dort wesentlich besser in der Lage als ich.«
»Ich weiß, aber ich arbeite hier nicht mit der Polizei zusammen.«
»Nicht.«
Das war keine Frage.
»Das Risiko, dass es eine undichte Stelle gibt, ist zu groß. Ich bin schon sehr nah dran. Ich bin den ganzen Tag ihrer Spur
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