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Harry Bosch 16 - Spur der toten Mädchen

Harry Bosch 16 - Spur der toten Mädchen

Titel: Harry Bosch 16 - Spur der toten Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Connelly
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Polizeifunk abhörte und versuchte, den anderen zuvorzukommen.«
    »Schon klar. Und was bedeutet es jetzt?«
    »Befassen wir uns zuerst mit der Entführung. Aus den Zeugenaussagen und allem anderen geht ziemlich zweifelsfrei hervor, dass es sich hier nicht um eine Tat handelt, die langfristig und in aller Ausführlichkeit geplant war. Sie erfolgte ganz spontan. So viel hatten sie von Anfang an richtig erkannt. Über die einzelnen Motivationsfaktoren können wir gleich noch genauer reden, aber vorerst soll so viel genügen, dass irgendetwas Jessup dazu gebracht hat, sich fast völlig unkontrolliert abzureagieren.«
    »Ich glaube, was die Motivationsfaktoren angeht, habe ich schon ein paar ganz gute Ideen«, sagte Bosch.
    »Gut, werde ich mir gerne anhören. Aber vorerst gehen wir davon aus, dass Jessup irgendein unbezähmbarer innerer Drang überkam, das Mädchen zu entführen. Er packte sie kurz entschlossen in seinen Abschleppwagen und fuhr mit ihr weg. Offensichtlich wusste er nicht, dass die Schwester, im Gebüsch versteckt, alles beobachtet hatte und Alarm schlug. Er bringt also das Mädchen in seine Gewalt und fährt mit ihr weg. Doch schon wenige Minuten später hört er auf dem Polizeifunkscanner in seinem Auto, dass die Entführung bereits gemeldet wurde. Erst in diesem Moment wird ihm so richtig bewusst, was er da gerade getan hat und was ihm jetzt blüht. Er hätte nie damit gerechnet, dass die Tat so schnell entdeckt würde. Er kommt mehr oder weniger wieder zur Besinnung. Er merkt, dass er sein Vorhaben aufgeben und sich von nun an nur noch darauf konzentrieren muss, nicht entdeckt zu werden. Er muss das Mädchen umbringen, um es als Zeugin auszuschalten, und dann seine Leiche verstecken, um einer Festnahme zu entgehen.«
    Zum Zeichen, dass ihm ihre Theorie einleuchtete, nickte Bosch.
    »Du willst also sagen, was er getan hat, war nicht das, was er eigentlich im Sinn hatte.«
    »Ganz genau. Er hat seinen ursprünglichen Plan aufgegeben.«
    »Deshalb hat Kloster nach etwas Falschem Ausschau gehalten, als er sich auf der Suche nach vergleichbaren Straftaten an das FBI gewandt hat.«
    »Richtig.«
    »Aber kann es denn überhaupt einen ursprünglichen Plan gegeben haben? Du hast doch eben selbst gesagt, die Tat ist aus einem inneren Drang heraus erfolgt. Er witterte eine Gelegenheit und hat sie kurzerhand ergriffen. Was könnte sein ursprünglicher Plan gewesen sein?«
    »Höchstwahrscheinlich hatte er sogar einen sehr ausgeklügelten und detaillierten Plan. Mörder wie dieser haben eine Paraphilie – eine sehr genau festgelegte Vorstellung vom perfekten psychosexuellen Erlebnis. Sie hängen sehr detaillierten Phantasien darüber nach. Und wie nicht anders zu erwarten, spielen dabei häufig Folter und Mord eine wichtige Rolle. Die Paraphilie ist Teil ihrer täglichen Phantasien und kann sich bis zu einem Punkt steigern, an dem das Wunschdenken zu einem Drang wird, der so stark wird, dass er ausagiert werden muss. Wenn jemand, der so gestrickt ist, diese Grenze überschreitet und seinen Drang auslebt, kann zwar die Entführung des Opfers vollkommen planlosen und spontanen Charakter haben, aber der anschließende Mord nicht. Das Opfer wird in eine ganz bestimmte Situation gebracht, die sich der Mörder in Gedanken immer wieder ausgemalt hat.«
    Bosch blickte auf sein Notizbuch hinab und merkte, dass er aufgehört hatte, sich Notizen zu machen.
    »Okay, aber hast du eben nicht selbst gesagt, dass das hier nicht der Fall war?«, warf er ein. »Er hat seinen Plan aufgegeben. Er hat im Polizeifunk mitbekommen, dass die Entführung bereits entdeckt worden war, und das hat ihn aus seiner Phantasiewelt in die Wirklichkeit zurückgeholt. Er hat gemerkt, dass sie ihm wahrscheinlich schon dicht auf den Fersen waren. Und in der Hoffnung, seiner Entdeckung zu entgehen, hat er das Mädchen umgebracht und in den Container geworfen.«
    »Genau. Und deshalb haben die Ermittler, wie du eben ganz richtig bemerkt hast, Äpfel mit Orangen verglichen, als sie nach Übereinstimmungen dieser Tat mit anderen Morden gesucht haben. Und als sie keine fanden, nahmen sie an, es wäre eine einmalige und völlig spontane Tat gewesen. Aber ich glaube nicht, dass es so war.«
    Bosch blickte von den Fotos zu Rachels Augen auf.
    »Du glaubst, er hat so etwas vorher schon getan?«
    »Ich glaube, seine Phantasien sind extrem zwanghaft. Deshalb würde es mich nicht wundern, wenn sich herausstellte, dass das nicht seine erste Entführung

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