Harry Bosch 16 - Spur der toten Mädchen
etwas, worüber er Bescheid weiß und was für Konfliktstoff sorgt?«
»Nein, da gibt es nichts. Wir sind ein paarmal miteinander ausgegangen, aber es ist nichts daraus geworden.«
»Wer hat wem den Laufpass gegeben?«
Sie zögerte und blickte zu Boden.
»Er mir.«
Ich nickte.
»Dann liegt darin der Konflikt. Er kann anführen, du würdest irgendeinen alten Groll gegen ihn hegen.«
»Meinst du, weil er mich sitzengelassen hat? Das ist doch totaler Blödsinn. Ihr Männer seid so …«
»Moment, Moment, Maggie. Jetzt reg dich nicht gleich so auf. Ich sage doch nur, dass sie so argumentieren werden. Das heißt nicht, dass ich auch dieser Auffassung bin. Im Gegenteil, ich möchte …«
Die Tür des Treppenhauses ging auf, und der Staatsanwalt, der im Gerichtssaal unsere Plätze übernommen hatte, als wir um die Unterbrechung gebeten hatten, kam herein und stieg die Treppe hinauf. Ich sah auf die Uhr. Es waren erst acht Minuten vergangen.
»Sie ist nach hinten in ihr Zimmer gegangen«, sagte er im Vorbeigehen. »Sie haben also noch Zeit.«
»Danke.«
Ich wartete, bis ich seine Schritte auf dem nächsten Treppenabsatz hörte, bevor ich in ruhigem Ton fortfuhr: »Also, wie setze ich mich am besten zur Wehr?«
»Du sagst der Richterin, dass es sich hier um einen offensichtlichen Versuch handelt, die Anklage zu sabotieren. Der einzige Grund, weshalb die Verteidigung einen zusätzlichen Anwalt hinzugezogen hat, ist, dass er eine Beziehung mit mir hatte, und nicht, weil er irgendwelche besonderen Qualifikationen für den Fall mitbringt.«
Ich nickte.
»Okay. Was sonst noch?«
»Keine Ahnung. Sonst fällt mir dazu nichts ein … es liegt lange zurück, keine starke emotionale Bindung, keine Auswirkung auf Urteilsvermögen oder Verhalten vor Gericht.«
»Ja, ja, schon klar … und was fällt dir zu Bell ein? Hat er etwas, oder weiß er etwas, wovor ich mich in Acht nehmen sollte?«
Sie sah mich an, als wäre ich ein Verräter.
»Maggie, ich muss alles wissen, damit zu dieser Überraschung nicht noch weitere Überraschungen hinzukommen, verstehst du?«
»Okay. Nein, da gibt es nichts. Er muss ganz schön knapp bei Kasse sein, wenn er sich dafür hergeben muss, mich aus einem Verfahren zu boxen.«
»Keine Sorge, sie sind nicht die Einzigen, die dieses Spiel beherrschen. Komm.«
Wir kehrten in den Gerichtssaal zurück, und als ich durch die Schranke ging, gab ich der Protokollführerin mit einem Nicken zu verstehen, dass sie die Richterin in den Saal holen konnte. Statt zu meinem Platz zu gehen, steuerte ich auf den Tisch der Verteidigung zu, wo Royce neben seinem Mandanten saß. Auf der anderen Seite von Jessup saß inzwischen David Bell. Ich beugte mich zu Royce hinab und flüsterte gerade so laut, dass es sein Mandant hören konnte.
»Wenn die Richterin zurückkommt, Clive, gebe ich Ihnen die Gelegenheit, diesen Antrag zurückzuziehen. Wenn nicht, werde ich Sie erstens vor laufender Kamera bloßstellen, so dass Ihre Blamage für immer festgehalten ist. Und zweitens ziehe ich das Freilassungs- und Entschädigungsangebot zurück, das ich Ihrem Mandanten letzte Woche gemacht habe. Unwiderruflich.«
Ich beobachtete, wie Jessups Augenbrauen ein paar Zentimeter nach oben wanderten. Von einem solchen Angebot hatte er nichts mitbekommen. Und zwar aus dem einfachen Grund, dass ich es nie gemacht hatte. Dafür durfte Royce jetzt zusehen, wie er seinem Mandanten glaubhaft machte, dass er ihm nichts verschwiegen hatte. So weit schon mal viel Erfolg.
Royce lächelte, als wäre er richtig begeistert über meinen Gegenzug. Er lehnte sich lässig zurück und warf seinen Stift auf seinen Notizblock. Es war ein Montblanc mit Goldrand. Das war keine Art, mit so einem Teil umzugehen.
»Sie wollen es also wirklich wissen, Mick? Dann will ich Ihnen mal was sagen. Ich werde den Antrag nicht zurückziehen, und wenn Sie mir ein Freilassungs- und Entschädigungsangebot gemacht hätten, könnte ich mich daran, glaube ich, erinnern.«
Er hatte meinen Bluff durchschaut. Aber er musste auch seinen Mandanten überzeugen. Ich sah die Richterin aus der Tür ihres Zimmers kommen und die drei Stufen zur Richterbank hinaufsteigen. Ich setzte zu einer weiteren geflüsterten Spitze gegen Royce an.
»Was Sie Bell gezahlt haben, haben Sie umsonst gezahlt.«
Damit kehrte ich zum Tisch der Anklage zurück und blieb dort stehen. Die Richterin erklärte die Verhandlung für eröffnet.
»Dann also wieder zurück zu
Kalifornien gegen Jessup.
Mr.
Weitere Kostenlose Bücher