Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Harry Bosch 16 - Spur der toten Mädchen

Harry Bosch 16 - Spur der toten Mädchen

Titel: Harry Bosch 16 - Spur der toten Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Connelly
Vom Netzwerk:
Haller, möchten Sie auf den letzten Antrag des Angeklagten etwas entgegnen, oder sind Sie damit einverstanden, dass ihm stattgegeben wird?«
    »Euer Ehren, die Anklage möchte sofort etwas auf … diesen Antrag entgegnen.«
    »Gut. Dann, bitte.«
    Ich gab mir Mühe, ein gerüttelt Maß an Entrüstung in meine Stimme zu legen.
    »Euer Ehren, ich bin sicher nicht weniger zynisch als sonst jemand, aber ich muss gestehen, dass mich die Verteidigung mit diesem Antrag doch ein wenig überrascht hat. Es handelt sich dabei nämlich gar nicht um einen Antrag, sondern um einen nur zu leicht zu durchschauenden Versuch, das Rechtsprechungssystem zu unterlaufen, indem man dem Volk von Kali…«
    »Euer Ehren.« Royce sprang auf. »Ich verwahre mich aufs nachdrücklichste gegen den Rufmord, den Mr. Haller hier im Beisein der Medien zu Protokoll geben will. Das ist nichts weiter als …«
    »Mr. Royce, Sie werden Gelegenheit erhalten, darauf zu entgegnen,
nachdem
Mr. Haller auf Ihren Antrag entgegnet hat. Nehmen Sie bitte Platz.«
    »Ja, Euer Ehren.«
    Royce setzte sich, und ich versuchte, mich zu erinnern, wo ich stehengeblieben war.
    »Fahren Sie fort, Mr. Haller.«
    »Ja, Euer Ehren. Wie Sie wissen, hat die Anklage der Verteidigung am Dienstag das gesamte Offenlegungsmaterial ausgehändigt. Was Sie jetzt vorliegen haben, ist ein in jeder Hinsicht unredlicher Antrag, der einzig und allein darauf zurückzuführen ist, dass Mr. Royce bewusst geworden ist, worauf er sich bei der Hauptverhandlung gefasst zu machen hat. Er dachte, der Staat würde sich kampflos ergeben. Aber inzwischen weiß er, dass dem nicht so ist.«
    »Und was hat das mit dem vorliegenden Antrag zu tun, Mr. Haller?«, fragte die Richterin ungeduldig.
    »Sehr viel«, antwortete ich. »Sie haben doch sicher schon von der Praxis des Richtershoppings gehört? Und was Mr. Royce hier betreibt, ist Anklägershopping. Nach Durchsicht der Offenlegungsakte ist ihm klargeworden, dass Margaret McPherson möglicherweise das wichtigste Mitglied des Anklageteams ist. Statt beim Prozess das Beweismaterial zu entkräften, versucht er nun, die Anklage personell zu schwächen, indem er das Team, das diese Beweise zusammengetragen hat, auseinanderzureißen versucht. Bis zum Beginn der Hauptverhandlung sind es nur noch vier Wochen, und deshalb versucht er jetzt, meine Stellvertreterin mit durch und durch unseriösen Mitteln aus dem Verfahren zu drängen. Er hat einen Anwalt hinzugezogen, der wenig bis keine Erfahrung mit Strafsachen hat, von einem Mordfall erst gar nicht zu reden. Aus welchem anderem Grund könnte er dies getan haben, Euer Ehren, um diesen angeblichen Interessenkonflikt zu erzeugen?«
    »Euer Ehren?«
    Royce war erneut aufgesprungen.
    »Mr. Royce«, wies ihn die Richterin zurecht, »ich habe Ihnen doch gerade gesagt, Sie erhalten noch Gelegenheit, sich dazu zu äußern.«
    Der warnende Unterton war unüberhörbar.
    »Aber, Euer Ehren, ich kann unmöglich …«
    »Setzen Sie sich.«
    Royce nahm Platz, und die Richterin wandte sich wieder mir zu.
    »Euer Ehren, das ist nichts als ein zynischer Schachzug eines verzweifelten Verteidigers. Ich hoffe sehr, Sie werden ihm nicht gestatten, die Absichten der Verfassung zu unterlaufen.«
    Ich setzte mich, und Royce schoss hoch. Wie zwei Männer auf einer Wippe.
    »Einen Augenblick noch, Mr. Royce.« Die Richterin hob die Hand und winkte den Verteidiger auf seinen Platz zurück. »Ich möchte mit Mr. Bell sprechen.«
    Jetzt war Bell an der Reihe, aufzustehen. Er war ein gut gekleideter Mann mit dunkelblondem Haar und rötlicher Gesichtsfarbe. Ihm war anzusehen, dass ihm nichts Gutes schwante. Egal, ob nun er zu Royce gekommen war oder Royce zu ihm, hatte er bestimmt nicht damit gerechnet, sich vor der Richterin rechtfertigen zu müssen.
    »Mr. Bell, ich hatte bisher nicht das Vergnügen, Sie in meinem Saal einen Fall verhandeln zu sehen. Übernehmen Sie Strafsachen, Sir?«
    »Ähm, nein, Ma’am, normalerweise nicht. Ich bin Prozessanwalt und habe mehr als dreißig Prozesse geführt. Ich habe also sehr wohl Prozesserfahrung, Euer Ehren.«
    »Schön für Sie. Wie viele dieser Prozesse waren Mordprozesse?«
    Geradezu euphorisch beobachtete ich, wie das, was ich in Bewegung gesetzt hatte, immer mehr Fahrt aufnahm. Regelrecht versteinert verfolgte Royce, wie sein Plan zerbrach wie eine kostbare Vase.
    »Keiner davon war tatsächlich ein Mordprozess. Aber in einigen ging es um widerrechtliche Tötungen.«
    »Das ist nicht das

Weitere Kostenlose Bücher