Harry Dresden 09: Weiße Nächte

die mich, meine Freunde oder Menschen, die sich selbst nicht beschützen können, unter die Erde bringen wollten, war alles andere als ein überdrehter Actionstreifen im Kinosommer. Es war ein wahrer Alptraum. Das einzige, was es noch um mich herum gab, waren Gewalt und Verwirrung, Angst und Wut, Schmerz und Triumph. Alles geschah rasend schnell, und ich hatte nie Zeit, nachzudenken, nicht die geringste Garantie, dass ich mit einer Entscheidung richtig lag.
    Wirklich, es war hässlich – aber ich musste zugeben, ich konnte der Situation auch etwas Positives abgewinnen:
    Ich hatte einige Übung in Kampfmagie erlangen können, und seit New Mexico hatte ich nicht die geringsten Skrupel, Ghule damit in kleine Fetzen zu zerreißen.
    Der nächste Ghul stellte die größte Bedrohung, aber nicht die größte Gelegenheit dar. Dennoch, wenn ich ihm nicht schleunigst aufs Maul gab, würde er mir den Kopf abschrauben oder mich zumindest lange genug beschäftigen, dass mich seine Kumpel gemeinsam in die Mangel nehmen konnten. Ursprünglich hätte ich ihn einen Energiestoß aus dem kleinen Silberring fressen lassen, den ich an meiner rechten Hand trug und der jedes Mal, wenn ich die Hand bewegte, etwas Energie speicherte, der aber nach einmaligem Gebrauch völlig nutzlos war.
    Das konnte ich nicht mehr, denn ich hatte den einzelnen Silberring durch drei ersetzt, die zu einem einzelnen verschmolzen waren. Jeder einzelne besaß jedoch die Kraft des ursprünglichen Silberringes.
    Oh, und an jedem Finger meiner rechten Hand steckte nun so ein neuer, aufgemotzter Ring.
    Ich hob meinen Stab in meiner Faust und deutete mit den Ringen auf den Ghul. Als ich den ersten Ring auslöste, fauchte ich: „Tschüs!“
    Schiere Kraft schoss dem Ghul entgegen, schleuderte ihn über das Heck des Wasserkäfers und ließ ihn krachend gegen den Bug des Schiffes prallen, das uns die Ausfahrt versperrte. Die Wucht reichte aus, ihm den Rücken zu brechen. Ein knirschendes Krachen erschallte, der Schlachtruf des Ghuls verwandelte sich in ein schmerzerfülltes Heulen, und dann verschwand er unter der Oberfläche des Michigansees.
    Der erste seiner Kumpel segelte bereits durch die Luft, um wie sein Vorgänger den Wasserkäfer zu entern. Ich wartete eine halbe Sekunde, bis seine Flugbahn genau den richtigen Winkel erreicht hatte. Ehe seine Füße auch nur die Planken des Decks erreicht hatten, schenkte ich ihm ebenfalls eine ein. Diesmal krachte der Ghul in zwei seiner Freunde, die sich hinter ihm ebenfalls bereits vom Nachbarschiff abgestoßen hatten, und ich tunkte sie alle drei in die kalte Brühe. Die Ghule fünf und sechs waren weiblich, was mich aber nicht im Mindesten beeindruckte, also fegte ich auch diese beiden in den See.
    So weit, so gut, doch dann sprangen gleich vier gemeinsam zu unserem Boot herüber, sei es aus Zufall oder aus Absicht, und ich schaffte es nur, zwei von ihnen fürs Erste zu entsorgen. Die anderen beiden landeten auf dem Deck des Wasserkäfers und kamen mit ausgestreckten Krallen auf mich zu gerannt.
    Keine Zeit für Tricks. Ich wirbelte meinen Stab umher, rammte das hintere Ende gegen die Wand der Brücke und zielte mit der Spitze auf die Fänge des nächsten Ghuls. Sie traf ihn mit der monströsen Wucht seiner eigenen übernatürlichen Geschwindigkeit und Stärke. Zersplitterte Bruchstücke gelblicher Fänge regneten auf das Deck herab, während der Ghul wie ein Gummiball zurückgeschleudert wurde. Der zweite sprang direkt über seinen Kumpel hinweg …
    ... nur, um in den Genuss einer traumhaften Aussicht in die Mündung meines .44er Revolvers zu kommen, den ich mit der linken Hand aus der Tasche meines Staubmantels gezogen hatte. Die Waffe dröhnte und riss den Kopf des Ghuls nach hinten, doch er rammte mich dennoch mit seinem Körper. Ich knallte mit genügend Wucht mit dem Rücken gegen das Brückenhäuschen, um mir die Luft aus der Lunge zu treiben, doch der Ghul fiel zuckend und wie irrsinnig brüllend hintenüber auf das Deck.
    Ich jagte aus einem halben Meter Entfernung zwei weitere Schüsse in den Kopf des Ghuls und pumpte die restlichen in den Schädel des Mistviehs, das ich mit meinem Stab halb bewusstlos geschlagen hatte. Wässriges, braunes Blut spritze über das Deck.
    Zu diesem Zeitpunkt hatten leider drei weitere Ghule erfolgreich unser Deck geentert, und ich hörte wuchtige Aufprallgeräusche, als zwei weitere, die ich über Bord befördert hatte, ihre Klauen in der Außenwand des Wasserkäfers schlugen, um