Harry Dresden 14 - Eiskalt: Die dunklen Fälle des Harry Dresden Band 14 (German Edition)
zumeist wohler fühlten, wenn jemand neben ihnen saß statt ihnen gegenüber. Bei Männern war das umgekehrt. Das Gegenübersitzen hatte Merkmale einer direkten körperlichen Konfrontation – bei dem im Allgemeinen die größere, stärkere Person den Vorteil hatte. Ich wusste nicht, ob das stimmte oder nicht, aber sie war schon angespannt genug, und ich wollte es nicht noch schlimmer machen. Also führte ich sie zu einem Ende der Couch und setzte mich dann außer Reichweite ans andere.
„Schön“, sagte ich. „Ich schätze, wir haben uns nicht unterhalten, weil ich dir nie etwas über mich erzählt habe. Trifft es das so ungefähr?“
„Vertrauen beruht auf Gegenseitigkeit“, sagte sie.
Ich stieß ein kurzes Lachen aus. „Du warst zu viel mit Mab zusammen. Sie kann eine Frage auch nicht einfach mit ja oder nein beantworten.“
Sarissas Mundwinkel zuckten. „Ja.“
Wieder lachte ich. „Gut“, sagte ich. „Nun, man muss mit den Wölfen heulen. Vielleicht sollten wir ein Frage-und-Antwort-Spiel spielen. Du fängst an.“
Sie faltete die Hände, runzelte die Stirn und nickte dann. „Ich habe viel über dich gehört. Dass du viele Menschen getötet hast. Stimmt das?“
„Ich weiß nicht, was du gehört hast“, sagte ich. „Aber … ja. Wenn die Leute in meiner Stadt von schlimmen Dingen bedroht waren, hatte ich es mir zur Aufgabe gemacht, mich dagegenzustellen. Ich bin außerdem seit einer Weile Wächter des Weißen Rates. Ich habe im Krieg gegen den Roten Hof gekämpft. Ich habe überhaupt viel gekämpft. Manchmal sterben dabei Leute. Warum stehst du in Mabs Schuld?“
„Ich … habe eine Form von angeborener Demenz“, sagte sie. „Ich habe gesehen, was sie mit meiner älteren Schwester gemacht hat und …“ Sie erschauerte. „Ärzte können mir nicht helfen. Mab schon. Hast du je jemanden getötet, der nicht versucht hatte, dich zu töten?“
Ich blickte auf meine Schuhe hinab. „Zweimal“, sagte ich leise. „Ich habe Lloyd Slate die Kehle durchgeschnitten, um Winterritter zu werden, und …“
Eine jähe Erinnerung. Eine zerfallen Stadt voller heulender Monster und Blut. Lichtblitze und dröhnende magische Detonationen, die Stein und Luft gleichermaßen zerfetzten. Überall Staub. Freunde, die verzweifelt kämpften und bluteten. Ein mit einer dicken Schicht geronnenen Blutes bedeckter Altar. Ein entsetztes kleines Mädchen – meine Tochter. Verrat.
Ein Kuss auf die Stirn einer Frau, die zu ermorden ich im Begriff stand.
„Gott, Susan, vergib mir“, dachte ich.
Ich sah nur noch verschwommen, und mein Hals fühlte sich an, als garottiere mich die Rotkappe wieder, aber ich zwang mich zu sagen: „Ich habe außerdem eine Frau namens Susan Rodriguez auf einem Steinaltar getötet, denn hätte ich es nicht getan, wären ein kleines Mädchen und viele gute Leute gestorben. Das wusste sie auch.“ Ich wischte mir über die Augen und räusperte mich. „Wie sehen die Bedingungen deines Paktes mit Mab aus?“
„Solange ich bei klarem Verstand und ich selbst bleibe, muss ich ihr jedes Jahr drei Monate lang aufwarten und gehorchen. Solange ich zur Schule ging lief das in den Sommerferien. Heute kostet es mich die Wochenenden, außer in letzter Zeit. Dich zu pflegen bedeutete, dass ich jetzt viele Monate frei haben.“ Sie fummelte mit dem blutigen Taschentuch herum. Ihre aufgeplatzte Lippe hatte aufgehört zu bluten und war jetzt mit einer dunklen Linie trocknenden Blute gezeichnet. „Während wir an deiner Gesundung gearbeitet haben, hast du, glaube ich, mehrfach erwähnt, dass du mal eine Katze und einen Hund hattest. Aber du hast nie von Freunden oder einer Familie gesprochen. Warum nicht?“
Ich zuckte die Achseln. „Ich bin nicht sicher“, sagte ich. Dann erkannte ich, dass ich alle Anwesenden belog. „Vielleicht … vielleicht, weil es wehtut, an sie zu denken. Weil ich sie vermisse. Weil … weil es gute Leute sind. Die besten. Ich bin nicht sicher, ob ich ihnen nach allem, was ich getan habe, noch in die Augen schauen kann. Was ist mit dir? Hast du Freunde?“
„Es gibt Leute, mit denen ich manchmal etwas unternehme“, sagte sie. „Ich bin nicht … ich bin nicht sicher, ob ich sie Freunde nennen würde. Ich will keine Freunde finden. Auf mir ruht die Aufmerksamkeit gefährlicher Wesen. Wenn ich jemandem nahestehe, könnte er dadurch in Gefahr geraten. Machst du dir darüber nie Gedanken?“
„Täglich“, sagte ich. „Ich habe Freunde begraben, die starben, weil sie mit
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