Hass
aber niemandes Schuld. Und es ist vorbei, ich werde es niemals vergessen, aber es ist vorbei. Niemand hatte Schuld – auch nicht Lincs geliebtes Skateboard.«
»Was haben Sie Sean gesagt?«
»Ich sagte, wenn ich wieder an die Ostküste komme, möchte ich mit ihm und seinem Vater ein paar Runden auf dem Skateboard drehen. Ich hätte ein paar Tricks drauf, die ihn überraschen würden. Er sagte, das wäre cool, und hielt mir seine Handfläche hin. Ich schlug ein.«
Cheney nahm sie in den Arm und hielt sie fest. Mit der Hand an ihrem Hinterkopf drückte er sie zärtlich an seine Schulter. »Er ist ein guter Junge. Ich wette, Linc war das auch. Sah er so aus wie Sie, Julia?«
Sie lehnte sich zurück und hatte Tränen in den Augen. Sie schluckte und lächelte. »Tut mir leid, Cheney, dass ich so rührselig war.«
»Nein, nein, schhh, das ist in Ordnung.« Er schob ihr eine Strähne hinters Ohr und nahm ihr Gesicht in seine Hände. »So viel passiert hier, Julia, was wir noch herausbekommen müssen. Ich mag es nicht, wenn ich keine Kontrolle über etwas habe. Und ich weiß, dass es Ihnen genauso geht. Aber alles wird sich auflösen. Sie werden schon sehen. Wir sind beide müde. Denken Sie, dass Sie schlafen können?«
»Ja, aber ich würde wahrscheinlich besser schlafen, wenn … Ach, ist ja egal. Wenn Sie auf der Mönchspritsche unten im Fitnesskeller nicht schlafen können, dann können Sie ja immer noch Gewichte stemmen. Sie sind ja so ein schmächtiges Kerlchen.«
Er lachte. »Mrs Sherlock sagte, dass die Liege gar nicht so schlecht sei. Sie hätte da mal geschlafen, als sie wütend auf ihren Mann war und selbst drei Gästezimmer weiter ihr immer noch zu nah war. Keine Angst, Julia – Makepeace weiß nicht, wo Sie sind. Selbst Frank Paulette weiß es nicht, was bedeutet, dass diesmal beim SFPD nichts durchsickert.«
»Ich mache mir keine Sorgen, zumindest nicht im Augenblick. Cheney … es ist schon komisch, oder? Schauen Sie, wo wir Dienstagnacht sind, was alles passiert ist, wo wir uns doch erst vor fünf Tagen kennengelernt haben.«
»Nächte«, sagte er, »es war vor fünf Nächten.« Cheney konnte nicht anders. Er beugte sich hinunter und küsste ihre Lippen, spürte die Wärme und das Entgegenkommen und eine Welle der Erregung, die ihn leicht hätte umhauen können. Er musste gehen, obwohl er es nicht wollte. Das war ziemlich schlechtes Timing. Er zog seinen Kopf zurück, berührte mit der Fingerspitze ihre Nase, strich ihre Augenbrauen glatt und wollte sie bitten, ihm all ihre Geheimnisse anzuvertrauen. Aber dazu war jetzt keine Zeit. Verdammt noch mal.
»Gute Nacht, Julia.«
Julia fühlte sich auf einmal so lebendig, dass sie kaum stillhalten konnte, und er sagte Gute Nacht? Fünf Tage – es würde auch keine Rolle spielen, wenn sie sich erst vor einer Stunde kennengelernt hätten. »Tja. Na dann, gute Nacht, Cheney.«
»Mach dir keine Sorgen, Julia.«
Er verharrte im Flur, bis sie die Tür hinter sich geschlossen hatte. Wallace Tammerlane hatte die beiden angesehen und etwas davon gesagt, dass das Leben ihn immer noch erstaune. Wallace hatte ja nicht den Hauch einer Ahnung, was wirkliches Erstaunen betraf.
Cheney ging langsam hinunter zum Fitnesskeller, erblickte die schmale Pritsche und seufzte. Es würde eine lange Nacht werden, selbst wenn sie nur noch wenige Stunden dauerte.
Im Gästezimmer nebenan lag Dix auf dem Rücken und hatte die Arme hinterm Kopf verschränkt. Er starrte an die von Schatten überzogene Decke und versuchte, zur Ruhe zu kommen und seine durcheinanderflitzenden Gedanken zu ordnen. Doch das war schwierig. Sie waren erst gestern in San Francisco angekommen, und seitdem hatten sie nichts anderes getan, als zu arbeiten und ständig darüber zu reden. Er war sich mit Savich einig geworden, dass er nicht zu Thomas Pallack mitkommen sollte, auch wenn er es gerne wollte. Er wollte den runzligen Hals packen und zusammenquetschen, bis er mit der Wahrheit rausrückte.
Er kannte noch immer nicht das geringste Detail. Zum Glück hatte Sherlock das Gespräch mit Pallack aufgezeichnet. Er hatte es sich zweimal angehört. Was er wollte war, Pallack gegenübertreten und das verdammte Armband finden. Was er wirklich wollte, zum Teufel, war die Wahrheit. Und er wollte Christie finden.
Aber er konnte nur hier liegen, in seinem eigenen Saft schmoren, während seine Problemlöserqualitäten verendeten.
Er mochte Julia Ransom und wollte nicht, dass Makepeace sie tötete. Er fragte
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