Haus der Angst
indirekt. Jacks Leben war auf verschlungenen Pfaden in die Irre gelaufen. Wenn sie, Barbara, ihm loyal gefolgt war, er ihr jedoch trotzdem seine Liebe nicht offenbarte und sich ihr gegenüber sogar ablehnend verhielt, so lag das doch einzig und allein an Lucy. Sie hatte nicht gemerkt, dass Colin Herzprobleme hatte. Sie hatte Jack die Enkelkinder weggenommen. Sie hatte ihn dazu gebracht, sie aufzugeben, sie, Barbara, die einzige Frau, die ihn abgöttisch und bedingungslos liebte.
Es war alles Lucys Schuld.
So einfach war das.
Unvermittelt blieb sie stehen, um ein paar Blumen zu pflücken, die am Wegrand wuchsen. Sie ergriff sie büschelweise und riss sie mit der Wurzel aus. Butterblumen und Gänseblümchen und ein paar purpurfarbene stachlige Gewächse, deren Namen sie nicht kannte. Mit vollen Händen lief sie weiter, und die erdverklumpten Wurzeln schlugen gegen ihre Shorts und die verschwitzten Oberschenkel.
Als sie in ihrem Wagen saß, griff sie nach einem Bleistift und Papier.
Das hier musste sie sofort erledigen.
Sie warf die Blumen auf den Beifahrersitz. Keuchend und schwitzend setzte sie sich ans Steuer. Es wäre besser gewesen, wenn sie sich erst abgekühlt und die Glieder gestreckt und gedehnt hätte, aber darauf verzichtete sie jetzt.
Sie fand keine Nachricht von Darren vor, als sie ins Ferienhaus zurückkehrte. Keine Botschaft in ihrer Mailbox. Auch nichts von Jack. Keiner hatte angerufen.
Sie blinzelte, um die Tränen zurückzuhalten, während sie vorsichtig die Wurzeln von den Blumen abschnitt. Ein paar sahen schon ganz schön mitgenommen aus. Es war ihr gleichgültig. In der Küche fand sie einen Bindfaden und schnürte ihn um die Stängel. In einem Schrank im Keller entdeckte sie eine alte Schreibmaschine. Sie tippte eine kurze Mitteilung. Die Schreibmaschine würde sie verschwinden lassen müssen, um alle Spuren zu verwischen. Sie achtete darauf, das Papier nicht mit den Fingern zu berühren, und sie hinterließ auch keine handschriftliche Notiz für Mr. Sicherheitsfachmann.
„Warum ist er nicht im Fluss ertrunken“, murmelte sie. „Das wäre besser gewesen.“
Sie wickelte ein Küchentuch um ihre Finger, steckte die getippte Nachricht in den Blumenstrauß und lächelte.
„Wie romantisch.“
Nachdem sie die Aufregungen des Morgens einigermaßen verarbeitet hatte, rief Lucy ihren Schwiegervater an. Sie benutzte das schnurlose Telefon, um gleichzeitig die welken Blüten aus den Malven und Lilien zupfen zu können.
„Jack? Hallo, hier ist Lucy. Warum hast du mir nicht gesagt, dass du Barbara hierher geschickt hast, um für dich ein Haus zu mieten? Ich hätte ihr behilflich sein können. Wir hätten Barbara wenigstens mal zum Abendessen einladen können.“ Sie bemühte sich um einen fröhlichen, halb neckenden Tonfall. „Du hast doch nicht etwa befürchtet, dass wir dich nicht bei uns haben wollten?“
„Nein, nein, ganz bestimmt nicht.“ Er klang angespannt und verlegen. Es gelang ihm nicht, seine Gefühle hinter dem sonoren Tonfall seiner Stimme zu verstecken. „Ich war mir nur nicht sicher, ob ich zu diesem späten Zeitpunkt überhaupt noch etwas finden würde, und ich wollte Madison und J. T. keine falschen Hoffnungen machen. Außerdem weißt du, wie sehr ich Überraschungen liebe.“
„Barbara hat für dich ein großes Haus gefunden. Es liegt auf dem Hügel ganz in unserer Nähe.“
„Das hat sie mir schon gesagt. Es hört sich sehr gut an. Bist du denn damit einverstanden?“
Lucy warf eine Hand voll verwelkter Blüten auf die Erde und rieb sich die Stirn. Sie spürte einen beginnenden Kopfschmerz. Es war einfach zu viel gewesen heute Morgen: von Sebastian in aller Frühe geweckt zu werden, sein Kuss, der sie in einen Gefühlstaumel versetzte, ihre widerspenstige Tochter, zu viele Pfannkuchen. „Ich habe dir doch schon einmal gesagt, Jack, dass du hier immer willkommen bist. Die Kinder werden begeistert sein, wenn du kommst.“
„Barbara hat das Haus für einen Monat gemietet. Ich werde zwischendurch öfter nach Hause fahren müssen …“
„Jack, sie hätte das Haus für ein ganzes Jahr mieten können. Du gehörst schließlich zur Familie.“
„Lucy …“ Es schien ihm die Sprache zu verschlagen, aber er riss sich zusammen. „Danke. Es tut mir Leid, dass ich neulich so ungehalten dir gegenüber war.“
„Jack, wir kennen uns jetzt schon so lange und haben so viel gemeinsam durchgemacht. Da brauchst du dir doch über so etwas keine Gedanken zu machen. Aber du
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