Haus der Angst
nicht gewollt, dass sie meinetwegen lügt. Es war wohl schon schlimm genug, sie zu bitten, nichts zu erwähnen. Eher eine Unterlassungssünde als eine bewusste Absicht. Ich hoffe, Lucy ist mir nicht allzu böse.“
„Madison ist fünfzehn. Sie weiß genau, was sie tut.“
Mit anderen Worten: Lucy hatte ihre Tochter bestraft. Barbara spürte einen bitteren Geschmack im Mund. Diese Frau war widerwärtig. „Wie lange werden Sie in Vermont bleiben?“ fragte sie und bemühte sich um einen unverfänglichen Plauderton.
„Ich weiß noch nicht. Lucy hat mich besucht, als sie in Wyoming war, und da habe ich beschlossen, hierher zu fahren, um mir die Stätten meiner jugendlichen Untaten noch einmal anzusehen.“
„Hat Colin eigentlich jemals davon gesprochen, das Haus Ihrer Großmutter zu kaufen, um irgendwann einmal nach Vermont zu ziehen?“
Sebastian schüttelte den Kopf. „Nein. Colin war gern in Washington.“
„Genau wie Madison“, erwiderte Barbara. Sie lächelte, um der Bemerkung ihre Bitterkeit zu nehmen.
„Das habe ich auch gehört. Colin und ich haben uns nicht oft gesehen in den letzten vier oder fünf Jahren seines Lebens.“
„Junge Menschen halten immer alles für selbstverständlich.“
Barbara hatte die unterschwellige Kritik in ihrer Bemerkung nicht unterdrücken können, aber Sebastian zeigte keine Reaktion. Sie dachte auch an sich und Jack und wie selbstverständlich sie für ihn in den vergangenen Jahren geworden war. Sie war immer da gewesen, stets einsatzbereit, immer willig zu tun, was er von ihr verlangte, ohne sich auch nur einmal zu beklagen. Im Gegensatz zu vielen anderen Angestellten, die schon lange für ihn arbeiteten, konnte er sich hundertprozentig auf sie verlassen, ohne befürchten zu müssen, dass sie ihm in irgendeiner Weise in den Rücken fiel.
Und was hatte sie nun von ihrer Loyalität? Nichts.
Jack
musste
sie einfach lieben.
„Und wann fahren Sie zurück nach Washington?“ wollte Sebastian wissen.
„Morgen oder übermorgen. Ich habe Zeit. Ich muss Jack noch bei der Erledigung einiger Dinge helfen, bevor er im August hierher kommt.“
„Ich bin erstaunt, dass er gerade jetzt ohne Sie zurechtkommt. Ist in Washington um diese Zeit nicht der Teufel los?“
„Normalerweise schon.“
Darauf entgegnete er nichts, und sie fragte sich, ob er wohl in sie hineinsehen konnte. Wusste er Bescheid? Hatte er einen Verdacht? Lucy war ein jämmerlicher Feigling, und sie hatte ihm inzwischen bestimmt von den Vorfällen erzählt. Deshalb war er auch hier. Natürlich! Nicht, um noch einmal das Haus seiner Großmutter zu besuchen, sondern um Lucy zu beschützen. Es war widerlich.
Sie selbst hingegen brauchte keinen Mann, der auf sie aufpasste. Vielleicht hatte Jack deshalb Angst, ihr seine Liebe zu gestehen. Er wusste, dass sie ihn nicht zu ihrem Schutz brauchte, nicht für ihren Lebensunterhalt – all die Dinge, die eine gewöhnliche Frau von einem Mann erwartete. Aber sie war anders. Sie war stark.
Sebastian lächelte. Er war unwiderstehlich. Für jemanden, der so schwach war wie Lucy, war es einfach, ihre Probleme und ihre Persönlichkeit einem Mann wie Sebastian Redwing zu überlassen. Sie, Barbara, hatte mehr Selbstvertrauen. Sie war zäher.
„Nun ja“, sagte er, „ich kenne mich in Washington auch nicht so gut aus. Lucy hat mich gebeten, Sie heute zum Abendessen einzuladen.“
„Das ist reizend. Richten Sie ihr bitte meinen Dank aus, aber leider habe ich heute Abend schon etwas anderes vor.“ Natürlich glaubte Lucy, dass sie auf solche Einladungen angewiesen war, weil sie mit sich allein nicht zurechtkam. Eine Frechheit! „Ich hoffe, sie ist nicht allzu streng mit Madison. Ich habe sie wirklich in eine dumme Situation gebracht.“
„Das macht nichts.“
Er ging die Treppe hinunter, blieb aber auf halbem Wege stehen und schaute sich nach ihr um. Barbara war nicht in der Lage, seinen Gesichtsausdruck zu deuten. Dabei konnte sie das doch bei anderen Leuten so gut. „Ein ehemaliger Kollege von mir hält sich möglicherweise hier in der Gegend auf. Darren Mowery. Kennen Sie ihn zufällig?“
Das also war der Grund für seinen Besuch. Nicht Madison und auch nicht Lucy. „Ja, ich habe von ihm gehört.“
„Er ist ein ziemlich unangenehmer Mensch seit letztem Jahr. Aber das ist eine lange Geschichte. Ich hoffe, ich irre mich, und er treibt sich nicht hier herum. Sollte er versuchen, mit Ihnen in Kontakt zu treten, rufen Sie mich an oder verständigen Sie die
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