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Haus der Erinnerungen

Haus der Erinnerungen

Titel: Haus der Erinnerungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: wood
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Ich habe seine Familie nie kennengelernt. Nicht einmal dein Großvater kannte sie, denn alle verschwanden oder starben sie, noch ehe er aus den Kinderschuhen heraus war.
    Robert wurde in diesem Haus von seiner Großmutter großgezogen, und sie starb kurz ehe er zum Pioniercorps ging. Auch sie habe ich nie kennengelernt. Aber sie war es, die ihm die Geschichten über die Townsends erzählt hat. Und er erzählte sie mir.«
    Großmutter holte tief Atem, als müsse sie sich wappnen. »Er erzählte mir, daß sein Vater, Victor Townsend, ein nichtswürdiger Mensch war. Manche sagen, er hätte sich der Schwarzen Kunst verschrieben. Andere behaupten, er hätte mit dem Satan selbst in Verbindung gestanden. Wundern würde es mich nicht. Er hat schreckliche Dinge getan. Aber ich werde dir nicht sagen, was es war, Andrea. Nichts in der Welt wird mich dazu bringen, über die unsäglichen Scheußlichkeiten zu sprechen, die dieser Mensch - dieser Teufel begangen hat. Nur eines kann ich dir sagen: Solange Victor Townsend lebte, machte er den Menschen in diesem Haus das Leben zur Hölle.«

    4

    »Ja, das waren schlimme Zeiten. Also, hör zu - sie waren drei Kinder, Victor, der Älteste, dann John und die Jüngste war Harriet. 1880 übersiedelte der alte Townsend mit seiner Familie von London nach Warrington, und sie zogen in dieses Haus. Er war ein guter Mann, Roberts Großvater. Ein guter Christ und ein strenger Vater. Er war hier in Warrington sehr angesehen. Wie er zu einem Sohn wie Victor kam...«
    Großmutter schüttelte den Kopf. Ich wollte sie nicht drängen, bemühte mich um Geduld, aber die Neugier ließ sich nicht zurückdrängen.
    »Was hat Victor getan, Nana?« Sie hob den Kopf. »Getan?«
    »Ja. Ich meine, beruflich.«
    »Ach so...« Großmutter legte die Hand an die Stirn. »Laß mich überlegen. Ich weiß gar nicht recht. Nein, ich weiß es nicht. Vielleicht weiß es dein Großvater, aber ich glaube, er hat es mir nie erzählt. John, der jüngere Bruder, arbeitete im Stahlwerk. Ich glaube in der Verwaltung.«
    »War er auch verheiratet?«
    Großmutter warf mir einen erstaunten Blick zu. »Wie meinst du das - auch? Natürlich war John verheiratet. Er war mit Jennifer verheiratet. Ich hab dir doch ihr Bild gezeigt.«
    »Aber ich dachte, sie wäre Victors Frau gewesen.«
    »Nein, nein. Jennifer war mit John verheiratet. Victor war nie verheiratet.«
    »Aber du hast gesagt, sie wäre meine Urgroßmutter.«

    »Andrea.« Die Stimme meiner Großmutter klang bedrückt. »Jennifer heiratete John Townsend und zog in dieses Haus. Aber eines Nachts -« Sie senkte den Blick. »Eines Nachts kam Victor nach Hause, und er - er überfiel Jennifer und zwang sie.«
    Das Ticken der Uhr klang mir plötzlich überlaut. Ich weiß nicht, wie viele Sekunden oder Minuten vergingen, ehe ich den Blick wieder auf Großmutter richtete, aber als ich es tat, spürte ich sogar ein wenig Teilnahme. Großmutter sah so unglücklich aus. »Verstehst du jetzt, Andrea?« fragte sie leise. »Dein Großvater wurde bei einer Vergewaltigung gezeugt.«
    »Großmutter -«
    »John - Jennifers Mann und Victors Bruder - ertrug es nicht, als er erfuhr, daß Jennifer schwanger war, und verließ sie. Beide Brüder verschwanden. Jennifer blieb allein zurück. Sie mußte ganz allein ihr Kind zur Welt bringen. Weder von John noch von Victor hörte sie je wieder. Ihre Schwiegermutter, die Mutter von Victor und John, zog das Kind groß, und nach dem, was dein Großvater mir erzählt hat, muß sie nicht ganz richtig gewesen sein, wenn du verstehst, was ich meine.«
    »Und was war mit der Schwester, Harriet? Was wurde aus Jennifer selbst?«
    »Was aus Harriet wurde, weiß ich nicht. Ich erinnere mich nur, daß an den Umständen ihres Todes etwas sehr Sonderbares oder Geheimnisvolles war. Und Jennifer starb, ehe dein Großvater aus den Windeln war. An gebrochenem Herzen, heißt es.«
    »Ich verstehe...«
    »Ja, aber noch lange nicht alles. Das Schlimmste ahnst du noch nicht einmal.«
    Die Leidenschaft im Ton meiner Großmutter überraschte mich. Ihr Blick war voller Feuer, und sie gestikulierte heftig, als sie weitersprach. »Du hast keine Ahnung, wie dein Großvater sein Leben lang gelitten hat, nachdem er erfahren hatte, was für ein Mensch sein Vater gewesen war. Es machte ihn zu einem ewig gequälten Menschen. Immer hing dieser schreckliche Schatten über ihm, das Wissen, daß sein Vater ein grausamer und sadistischer Mensch gewesen war. Er hatte nicht eine einzige

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