Haus des Todes
Knast – sie kriegte fünfzehn Monate, wurde aber nach acht wieder entlassen. Im Anschluss an seinen Krankenhausaufenthalt kam James in eine Pflegefamilie, wo er sein Schlafzimmer in Brand steckte, die Katze tötete und sich immer wieder vor seiner neuen Schwester entblößte. Darauf brachte man ihn in einer anderen Familie unter und schließlich in einem Heim für schwer erziehbare Kinder. In der Schule war er auf Förderunterricht angewiesen. Er bekam ständig Ärger, weil er sich in der Mädchentoilette versteckte, um den Schülerinnen beim Pinkeln zuzuschauen. Mit siebzehn ging er schließlich von der Schule ab und zog aus dem Heim in eine Einzimmerwohnung. Einen Monat später begann seine Obsession mit Tabitha Jenkins.
Schroder bringt mir einen Kaffee. Ich nehme die Patientenakte und blättere sie durch. Sie ist voller medizinischer Fachausdrücke, die nahelegen, dass Whitby ein hochgradig gestörter Junge war, der in diesem Zustand in Christchurch niemals hätte frei herumlaufen dürfen.
Stanton hat sich intensiv mit ihm beschäftigt – in der Akte finden sich Notizen zu Whitbys Kindheit, dazu, wie er aufgewachsen ist, und zu dem Verhältnis zu seiner Mutter. Notizen zu Whitbys Überfall auf Tabitha Jenkins. Seine Gedanken wirken wirr. Er hatte Schwierigkeiten zu erklären, warum er Tabitha überfallen hat. Er habe sich zu ihr hingezogen gefühlt, weil sie so hübsch gewesen sei, ist seine einzige Aussage dazu. Stanton schreibt, die Attacke mit dem Bügeleisen im Alter von vierzehn Jahren habe dazu geführt, dass ein Teil von James’ Persönlichkeit auf diesem Entwicklungsstand stehen geblieben sei; darum habe er sich zu Mädchen dieses Alters oder noch jüngeren hingezogen gefühlt. Auf Stantons Nachfrage, ob er wisse, dass das, was er tue, falsch sei, erwiderte Whitby, er fände nichts dabei und sei irritiert, dass die Leute das so sähen.
»Ich kapier immer noch nicht, warum wir das übersehen haben«, sage ich zu Schroder.
»Was?«
»Im Haftstrafenregister. Ich meine, wir haben es doch durchgesehen, oder? Wenn Cole vor sechs Wochen entlassen wurde, dann hätte uns das auffallen müssen.«
»Sicher«, sagt er und zuckt mit den Achseln. »Was soll ich dazu sagen?«
»Wir hätten früher auf die Verbindung stoßen müssen. Wir hätten …«
»Ich hab’s verstanden«, sagt er. »Okay? Wir hätten früher draufkommen müssen, doch das sind wir eben nicht. Aber wir wissen es jetzt, und das ist die Hauptsache, oder?«
»Ja.« Ich blicke zu Detective Kent hinüber, die mich mit ausdruckslosem Gesicht anstarrt. Sie zuckt kurz mit den Schultern, ohne dass Schroder es mitbekommt, und wendet sich dann wieder den Unterlagen vor sich zu, einer Kopie von Whitbys Akte. Ich werfe einen Blick auf meinen Kaffee. Der Rand des Bechers ist voller Flecken, die sich nicht entfernen lassen, wie sehr man auch daran herumreibt. »Schmeckt der Kaffee immer noch so wie früher, als ich hier gearbeitet habe?«, frage ich und reibe mit einem Finger über einen der Flecken.
»Etwas besser«, sagt er. »Ich glaube, der beschissene Hausmeister hat immer reingespuckt.«
Ich nehme den Kaffee, aber als ich ihn fast am Mund habe, überlege ich es mir anders. »Ich sollte sowieso damit aufhören«, erkläre ich. »Hast du inzwischen rausgefunden, welche Verbindung zwischen den Opfern besteht?«
»Es fehlt nicht mehr viel«, sagt er und nippt an seinem Becher. »In einer Stunde haben wir die Prozessakten. Hast du viel davon gelesen?«, fragt er und deutet mit dem Kopf auf die Akte.
»Ja. Das arme Schwein hatte nie eine Chance.«
»Du hast also auch die Akte der Mutter gelesen?«
Ich nicke.
»Völlig durchgeknallt, die Alte. Bist du ihr mal begegnet?«
»Nein.«
»Ich schon. Ich habe sie vor ein paar Jahren mal wegen Ladendiebstahls festgenommen. Aber aufgrund einer
Formsache musste ich sie wieder laufen lassen. Sie hat in einem Supermarkt jede Menge Bier in sich reingekippt, aber da sie die Geschäftsräume nicht verlassen hat, handelte es sich streng genommen nicht um Diebstahl. Sie verließ das Gebäude erst in unserer Begleitung, das heißt, sie hat es nicht freiwillig verlassen. Ich erinnere mich vor allem an ihren Atem – ich schwör dir, die Frau ist offensichtlich jahrelang nicht mal in die Nähe einer Zahnbürste gekommen. Sie war … sie war unheimlich.«
»Sie hat das alles in Gang gesetzt«, sage ich.
Er schüttelt zunächst den Kopf, aber dann nickt er. »Man kann es so sehen«, sagt er. »Stanton
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