Haut, so weiß wie Schnee
der Fassade, oder was?«
»Was weiß ich? Hab ich die Halle gebaut?«
»Nein, aber du hast sie gesehen!«
»Ich sehe hier gar nichts!«
Jonah versuchte, sich zu beherrschen. »Komm«, sagte er versöhnlich, »wir schauen uns hier mal um.« Er nahmJette an der Hand. Der Raum war schmal. Ein richtiger Schlauch. Sie konnten kaum nebeneinandergehen. »Hörst du das Gebläse?«, fragte er. »An dem Geräusch kannst du dich orientieren. Es kommt immer von derselben Stelle. Es ist ein Fixpunkt. Wenn du nicht weißt, wo im Raum du bist, lauschst du auf das Gebläse, okay?« Ihre Hand war schweißnass. Jonah ließ seine freie Hand über die Tür streichen. Es war eine Stahltür, höchstens einen Meter hoch. Er tastete sich weiter an der Wand entlang. Beton. Er zählte die Schritte und kam auf zwölf. Er tastete sich weiter. Das schmale Wandstück am Ende des Raumes war aus Glas! Ebenso die zweite lange Wand! Seiner Orientierung nach mussten dies die Außenwände sein. Aber das Glas war mit Sicherheit geschwärzt. Sie befanden sich tatsächlich in einer Art Anbau, der von außen getarnt war.
Jonah befühlte das Gebläse. Es war etwas über Kopfhöhe an der langen Außenwand befestigt. Ein rechteckiger Kasten, schuhkartongroß, mit zwei Drehknöpfen und einem Schalter. Die Luft kam aus zwei seitlichen Öffnungen. Ein Kabel führte in eine Steckdose. Es gab also Strom.
»Ich will hier raus«, sagte Jette.
»Ich auch.«
»Warum haben die uns hier eingesperrt?«
»Vielleicht wird in der Halle gearbeitet?«
»Oder die Polizei ist da!«
»Hat man die Tür wirklich nicht gesehen?«, wollte Jonah wissen.
»Nein.«
»Das kann doch nicht sein.« Seine Stimme klang wieder scharf.
»Das war ja keine Tür, die in die Holzwand eingelassen war. Die ganze Wand ist zur Seite gefahren.« Jette klang müde. »Was passiert, wenn die Polizei die Männer schnapptund sie nicht verraten, wo wir sind?«, fragte sie nach einer Weile.
Jonah sagte nichts.
»Oder wenn sie einen Autounfall haben?«
»Jella, du darfst so was nicht denken.«
»Und was soll ich dann denken? Dass das hier ein schöner Ausflug ist?«
»Nein.«
»Dann mach doch irgendwas. Du kennst dich doch aus mit Dunkelheit. Wieso tastest du nicht die Wände ab und suchst einen geheimen Knopf, mit dem man die Tür öffnen kann? Oder wirfst durch das Gebläse etwas raus, einen Strumpf oder so? Du bist doch der Blinde. Du musst doch wissen, was hier zu tun ist.«
»Ich bin nicht ›der Blinde‹«, sagte Jonah.
»Du bist doch blind.«
»Aber nicht ›der Blinde‹.«
»Haarspalterei.«
»Du hast mich noch gar nicht gefragt, warum ich blind bin.« Es war ihm einfach so herausgerutscht.
»Ich kenn dich ja auch erst seit gestern.«
»Trotzdem. Für dich bin ich nur ›der Blinde‹.«
»Und warum bist du blind?«, fragte sie in einem Ton, der klang wie na-gut-dann-frag-ich-dich-eben.
»Sag ich nicht.«
»Du beschwerst dich, dass ich dich nicht frage, warum du blind bist, und wenn ich dich frage, sagst du’s nicht?«
»Genau.«
»Pfff«, machte sie in einem Ton voller Verachtung und wandte sich von ihm ab.
Sie saßen drei Stunden in dem Verlies. Schweigend. Dann kamen die Männer und öffneten die Tür. Jonah strauchelte,als er aus dem Kabuff kroch. In der Halle war es noch wärmer geworden. Es roch nach frischer Erde und Palmen. Jonah hörte das Sprühen von Wasser – eine Berieselungsanlage. Die mussten die ersten Pflanzen gebracht haben. Jette verlangte von den Entführern eine Lampe, für den Fall, dass sie noch einmal in das Verlies gesperrt würden. Und etwas zu lesen. Dann stellte sie den Tisch und die Stühle in eine entfernte Ecke des Hochstandes und setzte sich dort hin. Jonah ließ sich auf seine Isomatte sinken. Er aß ein Sandwich, das die Männer dagelassen hatten. Jette beachtete ihn nicht. Er ließ sich die Zeit ansagen. Es war erst Mittag.
Klara handelt
Die Papiere lagen auf dem Bistrotisch. Klara ließ sie nicht aus den Augen. Sie hatte einen Aschenbecher, eine kleine Blumenvase und einen Bierdeckelhalter auf den dünnen Stapel gestellt. So konnten die Dokumente nicht wegfliegen. Nicht dass es in dem Café windig gewesen wäre. Aber Klara hatte das dringende Bedürfnis, sie zu sichern. Der Nachteil war, dass das bunte Sammelsurium von Gegenständen den Text verdeckte. Sie hatte noch kein Wort gelesen. »Möchtest du etwas trinken?« Klara zuckte zusammen. Die Bedienung war unbemerkt an sie herangetreten. »Eine heiße Schokolade bitte«,
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