Hautnah
Gina demonstrierte Lara, was sie meinte, als wäre ihre Beschreibung nicht eindrücklich genug.
»Schrecklich«, sagte Lara.
»Dann kommt also die Polizei. Sie nehmen Jane mit und geben sie in ein Heim, wo sie eigentlich schon die ganze Zeit hingehört hätte. Offenbar wollte der alte Larssen nicht für einen Platz zahlen, deshalb hat er die Sache selbst in die Hand genommen. Aber dann stellte sich heraus, dass er einen Riesenbatzen Geld auf der Bank hatte. Fast eine Million Dollar. Jane, die Arme, hat danach nicht mehr lange gelebt. Sie ist innerhalb eines Jahres gestorben. Und das ganze Geld, das er gescheffelt hatte, ging an irgendeinen Cousin in Nebraska.«
»Und das Haus?«
»Das stand all die Jahre zum Verkauf, bis zu diesem Frühjahr, da hat ein Unbekannter es gekauft und dem Theater geschenkt. Wegen der Immobilienkrise war der Preis ohnehin bis auf einen Kleckerbetrag gesunken.«
»James hätte uns davon erzählen müssen.«
»Aber was hätte das denn gebracht?«, widersprach Gina. »Was man nicht weiß, macht einen nicht heiß. Ich wünschte, ich hätte nie den Mund aufgemacht.« Sie nahm sich einen neuen Keks.
»Ich weiß nicht, ob ich da noch länger wohnen bleiben will.«
»Ach, das sind doch bloß ein paar Wände. Und bevor ihr eingezogen seid, wurde jede Menge am Haus renoviert. Es standen mehrere Wochen lang Lieferwagen davor, und irgendwelche Leute haben drinnen gearbeitet.«
»Was die gemacht haben, ist mir schleierhaft. Das Haus war total verdreckt, als wir ankamen. Ich habe die letzten drei Tage damit zugebracht, es zu putzen.« Lara dachte erneut an den Teppich mit dem Fleck und erschauerte. »Was wurde aus den Hunden?«
Gina fuhr sich mit dem Finger über die Kehle. »Na ja, alle außer einer. Der ist entwischt, während sie versucht haben, die Tiere auf einen Transporter zu laden. Er ist über die Nebenstraße weg, über den Fluss und dann im Wald verschwunden.«
»Wie sah er aus?«, wollte Lara wissen und dachte an Hund.
»Keine Ahnung«, antwortete Gina.
»Und in welchem Haus wohnt dieser Andy Schmidt?«
»Der wohnt hier nicht mehr.«
»Ist er umgezogen?«
»Tot.«
»Mein Gott.«
»Mummy, schau mal!« Jack stand in der Küchentür, flankiert von Gladys und Ethel. Er trug ein langes Glitzerkleid, eine blonde Lockenperücke und komplettes Make-up inklusive türkisfarbenem Lidschatten, großzügig aufgetragenem Rouge und dicken roten Lippen. »Ich bin hübsch, Mummy.«
»Und wie hübsch du bist, Schätzchen«, beteuerte Lara, nahm ihn in den Arm und drückte ihn.
Nicht zum ersten Mal fragte sie sich, in was für Schwierigkeiten ihre Familie durch den Entschluss, Marcus nach Amerika zu folgen, geraten war.
28
G ina sagte, sie habe ein furchtbar schlechtes Gewissen, weil sie Lara die Geschichte des Hauses verraten habe. Um sich zu entschuldigen, nötigte sie sie, zum Mittagessen zu bleiben. Lara rief zu Hause an, um Bella und Olly Bescheid zu geben, dass sie sich selbst versorgen mussten, aber es nahm niemand ab. Wahrscheinlich schliefen sie noch, oder aber sie waren bereits unterwegs. Wie auch immer, sie und Jack würden jedenfalls nicht vermisst werden.
Beim Mittagessen berichtete Lara Gina von ihrer Situation mit dem Auto, woraufhin diese ihr sofort ihren alten Volvo zur Verfügung stellen wollte. »Ich bin nur noch nicht dazu gekommen, ihn zu verschrotten«, erklärte sie. »Er steht bloß rum und nimmt Platz weg. Ihr würdet mir einen Gefallen tun.«
Sie ging mit Lara den kleinen Weg am Haus entlang zur Garage. Das vom Rost zerfressene Wrack war haargenau dasselbe Volvo-Modell wie das, das sie zu Hause in England fuhren. Selbst die Farbe war die gleiche. Der einzige Unterschied bestand darin, dass dieses Auto noch älter war.
»Er gehört euch«, erklärte Gina. »Bitte befreit mich davon.«
Bevor Lara und Jack sich von Gina verabschiedeten, lud diese sie noch ein, am selben Abend mit der ganzen Familie zu einem geselligen Beisammensein an der Feuergrube vorbeizukommen. Zwischenzeitlich war Lara zu dem Schluss gelangt, dass sie aus dem Larssen-Haus ausziehen mussten. Die Geschichte war einfach zu schrecklich. Sie ging beim Theater vorbei, um zu sehen, ob James oder Betty da waren, damit sie sich persönlich mit ihnen über die Sache auseinandersetzen konnte.
Und tatsächlich, James’ kleiner Sportwagen parkte vor dem Gebäude. Lara half Jack die Stufen zur Veranda hinauf und klopfte an die verschlossene Eingangstür.
Fast augenblicklich kam James und öffnete. Er
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