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Hautnah

Hautnah

Titel: Hautnah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Crouch
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schüttelte den Kopf und rieb sich die Augen. »Ach, verdammt, ich habe das mit den Schlössern ganz vergessen.«
    »Schlösser?«
    »Wir haben keine Schlösser an den Türen, und ich würde gerne welche anbringen lassen. Ich wollte James und Betty darauf ansprechen.«
    »Schlösser sind immer gut. Ich bin ein großer Freund von Sicherheit.«
    »Das ist mir aufgefallen. Obwohl ich natürlich nichts Hochkompliziertes verlange, so wie bei dir. Und die Kellertür muss auch verriegelt werden. Marcus hatte versprochen, sich darum zu kümmern, aber …« Sie beendete den Satz nicht, weil es ihr wie Verrat vorkam, vor Stephen schlecht über Marcus zu sprechen.
    »Wenn Marcus das gesagt hat, wird er es mit Sicherheit auch tun«, sagte Stephen und legte ihr eine Hand auf die Schulter. »Wie auch immer«, fuhr er fort. »Ich bin froh, dass wir uns getroffen haben. Ich wollte dich nämlich fragen, ob du und die Kinder vielleicht Lust hättet, mit mir das hier anzuschauen.« Er hielt fünf Eintrittskarten in die Höhe. »Das ist eine Zirkusvorstellung – eine moderne, Gott sei Dank, im traditionellen Zirkus hier gibt es sogar noch Tierdressuren. Die Vorstellung wäre in einem kleinen Ort etwa eine halbe Stunde südlich von hier. Morgen Abend. Unbedingt sehenswert.«
    »Und was ist mit Marcus?«, fragte Lara.
    »Oh, die Vorstellung fängt um sieben Uhr an, da ist er noch auf der Probe.«
    »Wie schade.« Lara lächelte.
    »Ja, schade.«
    »Wir kommen sehr gern.«
    »Großartig.« Er steckte die Eintrittskarten wieder weg. »Dann komme ich so gegen fünf bei euch vorbei und hole euch ab. Wir können unterwegs essen gehen.«
    Er stand da und lächelte sie an, während Jack an seiner Perücke zog. Irgendwo ganz in der Nähe sang eine Zikade. Selbst in seiner merkwürdigen, fast schon grotesken Verkleidung kam Stephen ihr wie etwas ganz Besonderes und Kostbares vor, etwas, das ganz ihr gehörte. Sie streckte die Hand aus und schob seine Pilotensonnenbrille nach oben, damit sie ihm in die Augen sehen konnte. Sekundenbruchteile bevor Jack auffallen konnte, dass etwas Merkwürdiges zwischen ihnen vorging, hatte sie sich auf die Zehenspitzen gestellt und ihn auf die Wange geküsst. Es war eine Geste, mit der sie den intimen Moment zugleich beendete und besiegelte.
    »Du testest die Grenzen aus«, meinte er. »Gefällt mir.«
    »Dann sehen wir uns morgen«, sagte sie, und ihre Stimme verhakte sich ein wenig dabei.
    »Muss ich wirklich so lange warten?« Er gab ihr Jack zurück.
    Lara und Jack gingen weiter die Main Street hinunter. Kurz bevor sie den Dorfladen erreicht hatten, in dem sie Jack sein Bestechungs-Eis kaufen wollte, drehte Lara sich um und sah zu der Stelle zurück, wo sie kurz zuvor gestanden hatten. Stephen hatte sich noch nicht bewegt. Er schirmte die ungeschützten Augen vor der Sonne ab und sah ihr nach.

29
    L ara und Jack brauchten eine halbe Stunde, um sich auf ein Eis zu einigen. Während sie danach in gemächlichem Tempo zurück zum Haus schlenderten, versuchte Lara, sich auf die positiveren Aspekte von dessen heruntergekommenem Äußeren zu konzentrieren: die verwitterten Holzschindeln und malerischen Fensterläden. Doch immer wieder wanderte ihr Blick zu dem Steinsockel, auf dem das Haus stand. Er war dunkel und moosbewachsen. Wie Grabsteine, durchfuhr es sie.
    Sie beschloss, das, was sie über das Haus erfahren hatte, für sich zu behalten. Es bestand kein Grund, Bella und Olly damit zu behelligen, und Marcus würde die Geschichte bloß verharmlosen, was sie nicht ertragen hätte.
    Als sie in den Gartenweg einbogen, sah sie auf der oberen Stufe zur Veranda einen kleinen Gegenstand liegen.
    Es war ein gelbes flaumiges Küken, das dort auf dem Rücken lag, die Flügelstummel zu beiden Seiten hin ausgebreitet, die wurmartigen Füßchen in die Luft gereckt, so dass sie wie Hinweispfeile aussahen, mit denen das Tier auf seine eigene Leiche zeigte. Sein Genick war ganz eindeutig gebrochen. Lara bückte sich, um den Kadaver zu untersuchen, und musste dabei an die Schemazeichnung eines zwölfwöchigen Fötus in ihrem alten Schwangerschaftsbuch denken, die sie wie unter Zwang immer wieder angeschaut hatte. Ungefähr so groß war er gewesen.
    »Armer Babyvogel«, sagte Jack und ging neben dem Küken in die Hocke. Sein Eis tropfte auf den Boden.
    Lara richtete sich auf und blickte die Straße hinunter. Wie immer war die Luft angefüllt von Tierlauten – Insekten, Hunde, Pferde und noch andere, wildere Kreaturen. Aber

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