Havelwasser (German Edition)
weiterginge.
Er lief die knapp zwei Kilometer zum Bahnhof und freute sich nicht nur über die wärmende Sonne.
23
Manzetti fuhr mit der nächsten Regionalbahn direkt nach Brandenburg zurück. Da die Fahrt nur knapp zwanzig Minuten dauerte, blieb ihm nicht genügend Zeit zum Grübeln. Er begnügte sich damit, die angenehme Frische aus der Klimaanlage zu genießen, und reckte der draußen gebliebenen Mittagssonne symbolisch den Stinkefinger entgegen. Dafür rächte die sich umgehend, als er am Brandenburger Hauptbahnhof ausstieg.
In der Direktion ging Manzetti sofort in sein Büro. Auf dem Schreibtisch lagen einige Briefe, die ihn aber nicht sonderlich interessierten. Daneben fand er eine Liste von Kontobewegungen Martin Beckers, die allesamt Eingänge aufzeigten und in einer Summe von neunhundertdreiundzwanzigtausend Euro mündeten.
Er rief Sonja Brinkmann an, die für das Wochenende dem Bereitschaftsdienst zugeteilt war, und bestellte sie zu sich.
„Ich habe noch nicht so viel herausbekommen“, erklärte sie noch auf der Türschwelle. Manzetti stand neben seinem Schreibtisch und starrte auf ihre Brust. Nicht wegen der gut geformten Rundungen unter dem knappen T-Shirt, sondern wegen des Blattes Papier, das sie vor sich hielt.
„Was ist das?“, fragte er und deutete mit dem Kinn auf den Zettel.
Sonja überreichte das Schriftstück und setzte sich unaufgefordert auf einen Stuhl. Manzetti las schweigend. Es war eine weitere Übersicht von Kontobewegungen. Dieses Mal älteren Datums und nur mit Abbuchungen. Kontoinhaber war wieder Becker, allerdings nicht bei der Brandenburger Bank, sondern bei der Nationalbank Windhoek.
Im Kopf rechnete Manzetti die horrenden Ausgaben zusammen und stellte fest, dass der Lehrer mehr Geld ausgegeben hatte, als die meisten Menschen im Jahr verdienten. Allein 2002 hatte er mehr als zwei Millionen achthunderttausend namibische Dollar auf ein Konto einer Bank in Kapstadt überwiesen.
„Wie viel sind zwei Millionen achthunderttausend namibische Dollar?“, fragte Manzetti und nahm seinen Blick vom Papier.
„Etwa dreihundertfünfzigtausend Euro“, rechnete Sonja aus, die offenbar auf diese Frage gewartet hatte.
„Verdammt viel Geld“, kommentierte er mit leisem Pfeifen. Insgeheim rechnete er wieder und musste leicht enttäuscht feststellen, dass sein Jahresgehalt nicht einmal zehn Prozent davon ausmachte. „An wen ging das Geld?“
Sonja schlug die Beine übereinander und verschränkte ihre Arme unterhalb der Brüste, wodurch die noch praller nach oben geschoben wurden und er fürchten musste, dass sie aus dem T-Shirt direkt vor seine Füße kullerten. „Das wissen wir noch nicht. Jedenfalls nicht direkt.“
„Warum nicht?“, beharrte Manzetti.
„Weil wir es mit den Banken in Südafrika zu tun haben und über Interpol einen Antrag stellen müssen. Südafrika ist zwar nicht die Schweiz, aber banktechnisch schon ziemlich dicht dran.“
„Dann frage ich mich“, sagte Manzetti, als er sich hinter seinen Schreibtisch setzte, „warum wir noch keinen gestellt haben.“
„Claasen wollte ihn nicht unterschreiben. Er meinte, dass die Verdachtsmomente noch nicht zwingend genug seien und er sich auf internationalem Parkett nicht blamieren wolle.“
Das sah dem Direktor ähnlich, und Manzetti konnte sich dessen Mimik während dieses Gesprächs bildhaft vorstellen. Der schöne Schein war ihm wichtiger als Verbrechensbekämpfung. Er warf den Zettel wütend vor sich auf die Tischplatte.
„Andrea?“
„Ja.“ Er sah zu Sonja hinüber.
„Der Oliver … mein Lebensgefährte …“
„Nicht jetzt“, unterbrach Manzetti, denn dafür hatte er momentan überhaupt keine Nerven.
„Der Oliver“, setzte Sonja unbeirrt fort. „Der ist doch für die Computersicherheit einer großen Bank zuständig.“
Jetzt hörte Manzetti plötzlich doch aufmerksam zu. Aus einem früheren Verfahren erinnerte er, was nun kommen würde. Bei den Leuten von der Bank gab es nämlich Tage, an denen sie Dinge vornahmen, die alles andere als legal waren und in ihrem Sprachgebrauch scharfes Training hießen. Sie überprüften die Sicherheit der Systeme der Konkurrenz und zogen damit Schlussfolgerungen für das eigene Unternehmen. Dabei durfte natürlich kein Schaden für irgendjemanden entstehen.
„Und?“, fragte er.
„Du weißt, dass es eigentlich verboten ist?“
Manzetti nickte kaum sichtbar.
„Namibia hat zwar eine sehr liberale Verfassung“, begann Sonja umständlich ihre Erklärung.
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