Head over Heels - Gaby Band 1 (German Edition)
Auch an diesem Abend. Während mein Auftrag darin bestanden hat, pünktlich und mit einem Schokokuchen zu erscheinen, hat sich Ilka um die Zubereitung der heißen Schokolade gekümmert. Unsere Seele wird lachen, während meine Hüften bereits im Onlineshop nach Hosen mit größerer Bundweite Ausschau halten.
B ei meinem Eintreffen bin ich froh, als Ilka mir erklärt, dass wir die Wohnung für uns haben, da ihr Bruder erst spät nach Hause kommen wird. Keine Ahnung, weshalb ich ausgerechnet heute Daniil nicht unter die Augen treten möchte. Vielleicht liegt es daran, dass ich mich besonders schutzlos und angreifbar fühle.
Wir machen es uns auf der Cou ch bequem. Wieder einmal brauche ich einige Zeit, bis ich mich in dem sterilen Raum wohlfühle. Mittlerweile hat sich die Frage nach dem Warum beantwortet. Ich bin mir sicher, dass eine Wohnung die Seele eines Menschen widerspiegelt, sein Innerstes nach außen kehrt. Und Daniils Innerstes scheint genauso auszusehen – kalt, einsam und von einem harten Panzer umgeben. Noch nie zuvor hat mich ein Mensch, den ich kaum kenne, so sehr beschäftigt, wie Daniil es tut.
Er ist der Falsche. Es ist Unfug, auch nur an ihn zu denken. Doch irgendetwas hat er an sich, das Frauen, mich eingeschlossen, anzieht. Seine Art kann es nicht sein, denn von Höflichkeit und Respekt hält er wenig. Aber ist es nicht genau das, nach dem ich mich, nun zur Rebellin mutiert, sehne? Nach einem Mann, der im vollkommenen Widerspruch zu den Vorstellungen meiner Mutter und sogar zu meinen eigenen steht. Ein Mann, mit dem ich mich niemals in der Öffentlichkeit zeigen könnte. Und sollte ich es wagen, würde sich die Pressemeute auf mich stürzen. Die brave, sittsame Gaby Bennet würde plötzlich in einem völlig anderen Licht erscheinen.
„Also“, beginnt Ilka, während sie den Kakao in ihrer Tasse mit dem Löffel au fquirlt, „was ist der Grund für die Schokoladen-Invasion?“
Ein gutes Stichwort. „Meine Mutter“, gestehe ich gereizt. „Weißt du, was kleine Kinder machen, wenn sie sich den Kopf stoßen? Sie weinen und wissen, dass ihnen jeder Wunsch von den Lippen abgelesen wird.“
„Hey“, unterbricht sie mich und stößt mir mit dem Ellenbogen in die Rippen. „Sie ist deine Mom und hat eine verdammt schlimme Zeit h inter sich. Sie als berechnendes Kind hinzustellen, finde ich höchst unpassend.“
Die Gabel mit dem köstlichen, in seinem Kern noch weichen Schokokuchen landet in meinem Mund. Ich genieße die Zuckerexplosion, schließe die Augen und lecke mir über die Lippen. Und trotzdem habe ich noch einen Kampf auszufechten. Wie kommt es überhaupt, dass meine beste Freundin, die mir sonst treu den Rücken stärkt, plötzlich die Fronten gewechselt hat?
„Unpassend? Wei ßt du, was ich unpassend finde? Ihr Verhalten! Sie hat nichts dazugelernt. Ich habe eine ziemlich genaue Ahnung davon, wie es ihr geht, aber ich muss meinen eigenen Weg finden.“
„Pierres Worte?“
„Meine Worte. Glaub mir, sie hat nur Schiss, dass sich unsere brave Obama-Familie in die schlimmen Kennedys verwandelt. Dabei sind wir doch längst die Kennedys.“
Ilka ist die Einzige, die jedes noch so dunkle Kapitel meines Lebens ken nt. Anfangs hat es mir große Schwierigkeiten bereitet, offen darüber zu reden. Mittlerweile ist das kein Thema mehr. Es ist Vergangenheit. Meine Vergangenheit. Das Leben muss und soll weitergehen. Wenn ich mich nicht irgendwann von der Übermacht meines Vaters befreit hätte, wäre ich längst in der Klapsmühle gelandet. Aber er kann mir nichts mehr tun. Ich habe keine Angst vor ihm. Ich empfinde rein gar nichts für ihn. Weder Liebe, die es nie gegeben hat. Oder vielleicht bis vier Tage nach meinem fünften Geburtstag, als er mich das erste Mal geschlagen hat. Damals habe ich wohl den Lieblichkeitsfaktor verloren, alle Schleusen wurden geöffnet und seine Wut prasselte ungehindert auf mich nieder. Die Ohrfeige tat weh. Sie kam unerwartet und danach hat er seiner Hose, auf die ich meine Cola verschüttet hatte, mehr Aufmerksamkeit geschenkt als mir. Ich saß am Boden, hielt mir die Wange und weinte herzzerreißend. An diesem Tag habe ich ihn zu hassen begonnen. Ich habe nicht einmal verstanden, welches Gefühl da in mir reifte. Wie sollte eine Fünfjährige das auch wissen? Ich hatte Angst, meiner Mama davon zu erzählen, da ich der festen Überzeugung war, dass ich etwas Furchtbares angestellt hatte und die Ohrfeige die gerechte Strafe dafür war.
Zwanzig Jahre später
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