Heartbreaker - Chartbreaker
Doppelkinn und eine riesengroße Warze auf der Nase gewünscht, aber das wäre dann doch zu gemein gewesen, und so richtig fies sein konnte ich nicht. Noch nicht.
Wenn es etwas gab, das Sharon bestens konnte, dann auf den fahrenden Zug aufspringen. Wenn irgendjemand auf der Beliebtheitsskala an unserer Schule gerade ganz weit oben war, hängte sie sich an ihn dran und übernahm dann selbst die Führung. Wenn sie selbst schon nicht die Freundin von Evan hatte sein können, dann wollte sie sich wenigstens mit mir schmücken, ob mir das nun passte oder nicht.
Victoria dagegen war da viel weniger zimperlich und hatte sich für Sharon bereits diverse Todesarten ausgedacht, bei denen Piranhas und eine Kettensäge eine wichtige Rolle spielten - nichts für schwache Gemüter also.
Und dann gab es noch Tizzy, wo schon die Rede von schwachen Gemütern ist. Sie hing wie eine Klette an mir, trabte
im Schulflur immer neben mir her und bot mir während des Unterrichts was aus ihrer Lunch-Box zum Essen an. Victoria reagierte darauf irritiert bis eifersüchtig; was von beidem es war, konnte ich nicht genau ausmachen. Ich wollte sie aber auch nicht fragen, weil Tizzy, anders als Sharon, einfach nur lieb und nett war. Sie meinte es mit allen Leuten nur gut und war wahrscheinlich etwas einsam - alles Gründe, weshalb sich Victoria für so ein Mädchen nie richtig interessieren würde. Und außerdem wollte Victoria mit mir sowieso immer nur über eines reden, nämlich den Song und Evan und welche Möglichkeiten sich mir dadurch boten. Möglichkeiten, die sich mir bisher noch nicht recht erschließen wollten.
»Du klingst wie ein Personal Coach für Lebensplanung«, sagte ich irgendwann mal zu ihr, als wir nebeneinander auf dem Rasen hinter der Schule saßen. Das war zwei Wochen, nachdem »Audrey, wait!« auf KROQ zu hören gewesen war. Wir hätten eigentlich Walt Whitmans »Grashalme« lesen müssen, aber stattdessen saßen wir nur in der Sonne und warfen ab und zu einen Blick in das Buch.
»Ich sag ja bloß«, fing Victoria zum 46. Mal an, »dass du möglicherweise - nur möglicherweise - versuchen solltest, irgendwelche öffentlichen Auftritte zu bekommen und das Beste daraus zu machen. Das kann für dich echt die große Chance sein, wer weiß. Wir könnten zusammen zu Filmpremieren gehen, alle möglichen Gadgets bei der Grammy-Verleihung geschenkt bekommen und -«
»Gadgets?«, fragte ich.
»Gadgets.«
Ich ließ mich auf den Rücken fallen und schaute zu den sich im Wind wiegenden Baumkronen hoch. War schon was dran an Walt Whitmans »Lasst uns alle die Natur lieben«-Philosophie, das musste ich zugeben. »Und was, schlägst du vor, soll ich in der Zwischenzeit tun? Wenn ich nicht gerade bei der Grammy-Verleihung Kinderspielzeug für Erwachsene zusammenraffe?
« Ich hatte das Gefühl, auch diese Frage schon das 46. Mal zu stellen. »Was, bitte schön? Neue Shoppingmalls einweihen? Als Opening Act vor einem Konzert von Evan auftreten und bescheuerte Witze erzählen?«
»Haha, Audrey. Na klar. Nein. Hör zu, du bist Audrey . Du bist meine beste Freundin, du bist die umwerfendste Person, die ich kenne, und alle werden dich lieben. ›Lieben‹ groß geschrieben. L-I-E-B-E-N. Alles, was du tun musst, ist, dich da rauszuwagen und einfach offen zu sein. Zum Beispiel dafür, Markenjeans umsonst zu kriegen.«
Ich schenkte ihr einen tödlich blitzenden Blick.
Sie warf mit herausgerupftem Gras nach mir. »Warum bist du bloß so eine Pessimistin?«
»Bin ich nicht. Ich verliere nur nicht den Blick für die Wirklichkeit.«
»Eine wirkliche Pessimistin.«
Und so weiter und so weiter. Und es wäre auch noch länger so weitergegangen, wenn ich nicht plötzlich einen Schatten über mir gespürt hätte. Ich öffnete die Augen und sah, dass James vor mir stand, beinahe so hoch in den Himmel ragend wie die Bäume. »Oh!«, sagte ich. »Hallo!«
Und wenn ihr jetzt nicht gleich vermutet, dass das Auftauchen von James ringsum zu einem heftigen Getuschel führte, dann habt ihr meine Geschichte bisher nicht aufmerksam gelesen.
»Oh, hey!«, sagte er, als wäre er überrascht, vor mir zu stehen. Als wäre es nicht er gewesen, der zu mir gekommen war. »Äh, ja, ich hab dir eine Kopie von der CD gebrannt, über die wir gesprochen haben. Erinnerst du dich? The Clash? Und, ähm, ich hab da auch noch ein paar andere Lieder draufgepackt.«
Victoria setzte sich wie ein zutraulicher Welpe auf, als würde sie erwarten, dass ihr James gleich über
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