Heartbreaker - Chartbreaker
schnell an herumzubrüllen, aber wenn mir etwas über die Hutschnur geht, dann geht es mir über die Hutschnur. »In Ordnung«, sagte sie nach einer Weile. »Lass uns darüber reden. Tu dir keinen Zwang an.«
Der leicht sarkastische Unterton, mit dem sie das sagte, war mir egal. »James hasst mich!«, jammerte ich.
»Hat er das gesagt?«
»Nein, aber -«
»Na dann hast du ja wirklich jeden Grund, ihm auf alle Fälle erst mal zu unterstellen, dass er dich hasst. Weil er ja bisher überhaupt nichts getan hat, was das Gegenteil beweisen würde. Keinesfalls darfst du ihm vertrauen, das verdient er nämlich nicht!«
Jetzt war es an mir, ein paar Sekunden zu schweigen. »Verstehe«, sagte ich dann, tupfte etwas Concealer unter meine Augen und gab ihr das Döschen zurück. »Willst du vielleicht Cheerios? Dein Freund hat sie nämlich verschmäht.«
»Ja, ich weiß. Er isst das ganze Zeugs nur, wenn irgendwo Marshmallows dabei sind. Die pickt er sich dann raus und für mich bleibt nur der ganze Rest übrig. Echt ätzend.« Sie griff in die Packung und nahm eine Handvoll Cheerios heraus. »Also, wann seht ihr euch wieder, du und James?«
»Wir treffen uns heute Mittag in der Bibliothek.«
»Oh, was für eine Wahl für ein Rendezvous! All die verstaubten Bücher, das versteckte Begehren, die noch ungelesenen Gedichte -«
Ich verdrehte die Augen. »Ja, genau. Und die Tatsache, dass dort nie jemand hingeht.«
»Ja, das natürlich auch.« Sie blickte auf die Uhr. »Ich glaub, ich muss jetzt zurück.«
Ich wollte nicht, dass sie ging. Auch wenn sie ein bisschen
dominant war und rechthaberischer als das Oberste Gericht, sie war meine Freundin. Wir kannten uns schon sehr lange. Sie war mir vertraut. Sie war Victoria. »Kannst du nicht so tun, als wär dir schlecht, und zwischendrin mal bei mir vorbeikommen?«, fragte ich und bemühte mich, möglichst einsam und verlassen zu klingen.
»Und mir deswegen meine Noten versauen? Ich hab schon die Auszeichnung für lückenlose Präsenz im Unterricht opfern müssen!«
»Also ich weiß nicht, ob man von ›Opfer‹ sprechen kann, wenn du die Windpocken bekommen hast!«
»Trotzdem.« Sie fuhr sich noch einmal mit Gel durch die Haare, dann tätschelte sie mir den Rücken. »Kopf hoch! Millionen von Mädchen würden wer weiß was drum geben, wenn sie an deiner Stelle sein könnten. Es gibt Schlimmeres.«
»Ach so! Soll ich also deiner Meinung nach richtig dankbar sein, dass mein Leben so aus den Fugen geraten ist?« Die riesengroße Wut in mir kochte langsam wieder hoch.
Victoria seufzte und hielt die Tür auf. »Komm jetzt«, sagte sie. »Kehr wieder in dein turbulentes, verrücktes Leben zurück. Und vergiss die Cheerios nicht.«
Als ich mich dann mittags endlich mit James in der Flora-&-Fauna-Abteilung unserer Schulbücherei traf, hatte ich bereits die halbe Familienpackung leer gefuttert und fühlte mich, als würde ich ein gigantisches Cheerio um die Hüfte tragen. Ich gehe mal davon aus, dass es grundsätzlich verboten ist, während der Schulstunden zu essen, aber Connie, die Sekretärin, sagte nichts. Sie wusste wahrscheinlich durch ihre Tochter von meinem Date am Abend vorher mit James und war schon allein deswegen nachsichtig mit mir. Außerdem waren wir Komplizinnen geworden und hatten unsere stillschweigenden Übereinkünfte. Sie ließ mich meine Kekse mampfen und für längere Zeit auf die Toilette verschwinden, und ich sagte nichts, wenn sie angeblich mal wieder Kopfweh hatte, in Wahrheit aber zum Friseur ging.
»Hier«, sagte ich zu James. »Nimm. Bitte. Ich explodiere gleich.«
Er grinste und nahm mir die Packung ab. »Mein Bruder hat angefangen, mich ›Superchecker‹ zu nennen«, antwortete er, »und das ist nicht als Kompliment gemeint.«
»Wie kann ich mich dafür bloß entschuldigen?«
»Gar nicht, auch wenn du’s noch so oft versuchst.«
Ich wollte darauf was sagen, aber da küsste er mich, und alles war gut, zumindest für den Augenblick.
»Hey«, sagte er weich, nachdem wir uns voneinander gelöst hatten.
»Hey«, seufzte ich. »Ich hab dich vermisst.«
»Der Superchecker hat dich auch vermisst.« Irgendwie schien er auf seinen neuen Spitznamen stolz zu sein.
»Ähm, wenn ich ehrlich bin, gefällt mir dieses Tolle-Kerle-Ding mit der dritten Person nicht, Superchecker«, sagte ich. »Und das mit dem Superchecker auch nicht.«
»Okay. Geht in Ordnung. Bin schon drüber hinweg.« Er griff nach meinen Händen und trat einen Schritt zurück.
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