Heidi Klum - Chamäleongesicht. Biographie (German Edition)
Denn alles, was eine Kandidatin ihr bieten kann, zählt nur, wenn es auch aufgenommen wird. Was unbrauchbar ist, wird herausgeschnitten. Aber es wäre schlichtweg eine Verschwendung, wenn Heidi außerhalb des Sets mit einer Kandidatin das beste Gespräch der Welt hätte – und keiner kriegt etwas davon mit. Was Menschen, die neu im Fernsehen sind, außerdem nicht verstehen: Heidi tut am Set nicht das, was ihr ihre eigenen Emotionen eingeben, sondern, was von ihr von Seiten des Filmteams erwartet wird. Sie ist eben ein Profi, und keiner der Laien, deren Interessen selbst dann, wenn sie mitten in einer Casting-Show stecken, oft neben der Show und eher im Privaten liegen.
Bei der ersten Staffel von Project Runway tritt für Heidi erschwerend hinzu, dass Heidi eine junge Mutter ist, die nebenbei auch noch ihren Job als Topmodel und Designerin weiterführen muss. In diesen Monaten beschreibt sie in ihrem Essay für die Zeit das Gefühl der Entfremdung von sich selbst. Sie erlebt zunehmend auf der einen Seite die Privatperson, die sie ist (oder auch war), und auf der anderen das Topmodel Heidi Klum, das von Termin zu Termin eilt, und mit dem sie sich nicht mehr identisch fühlt. Diese Haltung erklärt auch, warum es am Set von Seiten Heidis nicht zu Gesprächen von Designer zu Designer kommt. Denn zwar ist Heidi nicht nur ein Model, sondern auch eine preisgekrönte Designerin, die eben ihre eigene Kleiderkollektion für Jordache vorgestellt hat. Aber nachdem diese Rolle in Project Runway nicht gefragt ist, verzichtet Heidi völlig darauf, den Kandidaten überhaupt davon Andeutungen zu machen. Sie geht ins Studio mit den Gedanken an ihre eigene Rolle als Moderatorin an diesem Tag. Davor und danach aber ist sie vor allem Mutter, und das auch noch dazu das erste Mal. Und jeden Tag stellt sie das wachsende Leben von Leni vor neue Herausforderungen. Eine Frau, die sich dafür entscheiden muss, ob sie ihre freien Stunden mit ihrem Säugling oder am Set einer Fernsehshow verbringt, wird in dieser Zeit wenig neue Freunde gewinnen, denn das Kind fordert nicht nur in kurzen Abständen Nahrung von der stillenden Mutter, sondern auch Geborgenheit.
Außerdem muss man sehen, dass Project Runway für Heidi vorerst einmal ein Hobby darstellt, sie aber nebenbei beruflich tätig bleibt. Selbst wenn sie später doch auch einen Verdienst aus der Show ziehen wird, bleibt dieser doch erheblich unter ihren anderen Einkünften. Und sie hat jede Menge vertragliche Verpflichtungen, die sie erfüllen muss. So laufen ja auch die Werbeverträge weiter, und wenn sich nicht das Drama von 2003 wiederholen soll, als der Otto Bauer Versand wegen terminlicher Probleme die Zusammenarbeit beendet hat, muss Heidi darauf achten, zu allen Terminen pünktlich und auch fit zu erscheinen. Ob es die Sendung, die seit zwei Jahren in Planung war, jemals auf die Bildschirme schaffen wird, steht in den Sternen, und somit ist noch nicht klar, ob sich damit jemals Geld verdienen lassen wird. Später wird Heidi F orbes erzählen, dass sie pro Staffel „Project Runway“ als Moderatorin 1,3 Millionen Dollar verdient und für sie als Produzentin etwa 350,000 Dollar abfällt. Das klingt viel, ist aber bei Heidis Lebensstil als Umsatz vor Steuern für ein halbes Jahr Arbeit auch nicht gar so viel. Denn: „Den Löwenanteil bekommt Harvey Weinstein.“
Als Vanessa Riley also Heidi kritisiert, ist diese gerade an einer beruflichen und privaten Wegscheide angelangt. Bei ihren Auftritten vor der Kamera gibt sie ihr Bestes. An guten Tagen sieht sie so frisch und bezaubernd aus wie man es aus früheren Jahren gewohnt ist. An anderen Tagen merkt man, unter welchem Druck sie seit langer Zeit steht. Dann wirkt ihr Gesicht reifer, manchmal sogar gezeichnet. Ihr Lächeln ist dann nicht mehr fröhlich und spontan, sondern wirkt gekünstelt. Heidi ist gerade nach Los Angeles gezogen und fliegt zu den Aufnahmen extra nach New York zurück. In einem Interview meint sie dazu: „Es ist schwierig, eine Familie zu haben, wenn man auch ein Business hat, aber wir wollten eine große Familie haben und also wurden die Aktivitäten eingeschränkt.“ Dazu zählt verständlicherweise auch, dass im Alltag der Smalltalk häufig zu kurz kommt.
Davon abgesehen sagt Vanessa Riley inhaltlich nichts Ehrenrühriges für Heidi. Dass ihr und den Produzenten die Idee zu der Show zu einer Zeit gekommen ist, als Tyra Banks mit America's Next Top Model erste Erfolge feiert, ist eher ein Zeichen dafür,
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