Heike Eva Schmidt
Ast und klammerte mich mit beiden Armen krampfhaft an den schrundigen Stamm.
In diesem Moment kamen zwei Mönche langsam herangeschritten. Ich konnte von oben nur die Tonsur des einen sehen, der zweite hatte die Kapuze seiner Kutte über den Kopf gezogen. Ausgerechnet unter dem Baum, auf dem ich hockte wie eine flügellahme Krähe, blieben sie stehen.
»Denkt daran, Bruder, versenkt Euch ins Gebet und lasset die weltlichen Dinge nicht Euren Geist besetzen. Ich will Euch nun verlassen, damit Ihr in Ruhe mit Gott sprechen könnt. GelobtseiJesusChristus«, murmelte der Tonsurträger und wandelte davon.
Der mit der Kapuze antwortete murmelnd: »InEwigkeitAmen«, ehe er sich hinsetzte, und zwar direkt unter den Ast, auf dem meine Füße Halt suchten. Entsetzt dachte ich, dass er ja wohl hoffentlich nicht vorhatte, hier eine längere Meditationssession abzuhalten. Gespräche mit Gott hin oder her, aber wieso musste er sich ausgerechnet »meinen« Baum dafür aussuchen? Vielleicht sollte ich es mal mit Telepathie versuchen: »Geh weg, hier sind ganz viele Ameisen und es wird gleich verdammt ungemütlich«, versuchte ich, dem Mönch eine gedankliche SMS zu schicken.
Er lehnte sich mit dem Rücken an den rauen Stamm und ließ die Perlen seines hölzernen Rosenkranzes durch die Finger gleiten. Soviel also zur Telepathie, dachte ich verbittert.
Im selben Moment streifte der Klosterbruder seine Kapuze ab und drehte dabei den Kopf etwas, so dass ich sein Profil sah: dunkle Haare, ein schön geschwungener Mund … In meinem Kopf zuckte, wie bei einem Fotoapparat, blitzartig die Erinnerung auf: Jakob! Direkt unter mir saß Dorotheas Bruder! Ich hatte ihn gefunden! Oder vielmehr: er mich. Trotzdem klammerte ich mich starr an meinen Ast und sah vermutlich aus wie das Affenbaby aus »Gorillas im Nebel«. Wie sollte ich Jakob bloß erklären, dass ich Dorothea unbedingt finden musste? Die Wahrheit, nämlich dass ich aus der Zukunft kam und mein Leben eng mit Dorotheas Schicksal verknüpft war, würde Jakob mir wohl kaum abnehmen.
Ich blickte auf seinen dunklen Haarschopf hinunter. Er schien völlig ins Gebet versunken: Leise vor sich hin murmelnd ließ er die Perlen seines Rosenkranzes durch die Finger gleiten. Seine Hände waren schlank und die Finger überraschend lang, wie bei einem Pianisten. Ein paar Sekunden starrte ich sie verträumt an, bis mir einfiel, dass ich besser Gas geben sollte, schließlich wusste ich nie, wann ich wieder in dem Strudel landen würde, der mich in meine Zeit zurückbeamte. Ich war fest entschlossen, diesmal zuerst Dorothea zu finden und sie nicht nur zu warnen, sondern auch den Namen der Bambergerin, die meinen Halsschmuck verflucht haben könnte, herauszukriegen. Irgendeine Geschichte würde ich Jakob schon auftischen. Also holte ich tief Luft und zischte leise: »Pssst …«
Jakob hob verwundert den Kopf und lauschte. Dann senkte er den Blick wieder auf seine Holzperlen und rezitierte einen Psalm: »Aus tiefer Not schrei’ ich zu dir! Herr Gott, erhör’ mein Rufen …«
»Jakob, hier oben«, flüsterte ich, nun schon etwas lauter. Er zuckte heftig zusammen und riss den Kopf hoch, um zu orten, woher die Stimme kam. Anscheinend konnte er mich in dem ganzen Blütengewirr nicht sehen, denn seine Miene wurde erst ungläubig, dann fast ängstlich. »Herr …?«, fragte er unsicher, während seine grauen Augen den Himmel absuchten.
Ich hielt es für angemessen, das Missverständnis aufzuklären, ehe er noch anfing, an eine Erscheinung zu glauben und seine Klosterbrüder herbeizurufen. Also tauchte ich wie Neptun aus dem Blütenmeer auf und winkte zu ihm hinunter. »Ich bin’s – Cat! Wir haben uns vor kurzem bei deiner Schwester gesehen!«
Dann kletterte ich etwas unbeholfen Ast für Ast nach unten, ehe ich mit einem Plumps auf der Erde landete. Als ich ihm ins Gesicht sah, war dort nichts mehr von seiner einstigen klösterlichen Gelassenheit oder Menschenliebe zu sehen. Seine Augen sprühten vor Zorn, und mit schneidender Stimme fing er an: »Wie kannst du es wagen …«
Doch bevor sich seine ganze Wut wie ein Gewitter über mir entladen konnte, stoppte ich ihn mit einer energischen Handbewegung. »Schon gut, halt mal’n Moment die Luft an, ja?«, sagte ich. Als ich seinen ungläubigen Gesichtsausdruck sah, riss ich mich zusammen und zwang mich zu einer etwas gemäßigteren Ausdrucksweise.
»Deine Schwester ist in Gefahr, Jakob. Deshalb bin ich hier in den Klostergarten eingedrungen. Ich
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