Heilige Mörderin: Roman (German Edition)
den Patchwork-Unterricht aufgeben musste, und fürchtete, ihren Lebensunterhalt nicht bestreiten zu können, aber was blieb ihr anderes übrig?
Hiromi legte die Hände auf ihren Bauch. Sie trug ein Kind in ihrem Leib. Hiromi hatte gefürchtet, Ayane würde sie nach ihren Plänen fragen. Sie hatte sich selbst noch gar nicht entschieden. Vielleicht hatte sie nur nicht gefragt, weil sie es für selbstverständlich hielt, dass Hiromi das Kind abtreiben lassen würde.
Aber Hiromi war unsicher. Wenn sie tief in sich hineinhorchte, wurde ihr klar, dass sie das Kind zur Welt bringen wollte. Aber was für ein Leben erwartete sie, wenn sie das Kind bekam? Ihre Eltern würden ihr nicht helfen. Sie waren zwar noch gesund, lebten aber nicht gerade im Überfluss. Wahrscheinlich würde sie der Schlag treffen, wenn sie erfuhren, dass ihre Tochter ein uneheliches Kind von einem verheirateten Mann bekam.
Sie musste die Schwangerschaft abbrechen – immer wenn sie darüber nachdachte, gelangte sie zu dem gleichen Schluss. Aber sie konnte sich einfach nicht zu dieser Entscheidung durchringen. Seit Yoshitakas Tod dachte sie an kaum etwas anderes.
Als ihr Handy klingelte, stand sie langsam auf und ging zum Arbeitstisch. Sie erkannte die Nummer auf dem Display und überlegte, ob sie rangehen sollte, tat es aber letztendlich doch. Selbst wenn sie den Anruf jetzt ignorierte, würde man sie nicht in Ruhe lassen.
»Ja?«, sagte sie mit ungewollt düsterer Stimme.
»Hallo, hier spricht Utsumi von der Kriminalpolizei. Könnte ich kurz mit Ihnen reden?«
»Bitte.«
»Es hat sich noch etwas ergeben, zu dem ich Sie gern befragen würde. Können wir uns irgendwo treffen?«
»Wann?«
»Möglichst bald wäre gut.«
Hiromi seufzte laut.
»Könnten Sie hierherkommen? Ich bin gerade in der Patchwork-Schule.«
»In Daikanyama, nicht wahr? Ist Frau Mashiba auch dort?«
»Nein, sie kommt heute nicht mehr. Ich bin allein.«
»Gut. Ich mache mich auf den Weg.«
Hiromi schob das Handy wieder in ihre Tasche und legte die Hand auf die Stirn. Bis der Fall geklärt war, würde die Polizei sie nicht in Ruhe lassen. Es war ausgeschlossen, das Kind zu bekommen, ohne dass jemand etwas davon merkte.
Sie trank von dem lauwarmen Tee, der noch in ihrem Becher war.
Sie dachte an die drei Jahre, die sie hier verbracht hatte. In den ersten drei Monaten hatte sie so große Fortschritte gemacht, dass es sie selbst erstaunt hatte. Als Ayane ihr anbot, ihre Assistentin zu werden, hatte sie spontan zugesagt. Sie hatte die anspruchslosen, mechanischen Arbeiten, die die Zeitarbeitsfirma ihr vermittelte, ohnehin sattgehabt.
Es waren glückliche, erfüllte Tage gewesen. Warum hatte alles so kommen müssen? Hiromi schüttelte den Kopf. Sie kannte den Grund nur zu gut.
Hiromi erinnerte sich ganz deutlich an ihre erste Begegnung mit Yoshitaka Mashiba. Sie hatte in diesem Raum ihren Unterricht vorbereitet, als Ayane anrief und sie bat, dem Herrn, der gleich kommen würde, auszurichten, er möge dort auf sie warten. In welcher Beziehung sie zu ihm stand, hatte sie nicht erwähnt.
Bald darauf traf der Besucher ein. Hiromi bat ihn herein und servierte ihm Tee. Er schaute sich interessiert um und stellte dabei allerlei Fragen. Selbst bei der Kürze ihrer Unterhaltung fielen ihr seine Intelligenz und sein Scharfsinn auf.
Als Ayane eintraf, stellte sie ihr den Mann vor. Zu Hiromis Erstaunen hatte sie ihn auf einer Single-Party kennengelernt.
Wenn Hiromi jetzt zurückdachte, war ihr klar, dass Yoshitaka ihr schon damals gefallen hatte. Sie erinnerte sich, dass sie ein bisschen eifersüchtig gewesen war, als Ayane ihn ihr als ihren Freund vorgestellt hatte.
Ist die Liebe einmal geboren, verschwindet sie kaum wieder von selbst. Auch als Ayane verheiratet war, besuchte Hiromi sie häufig zu Hause.
Natürlich zeigte Hiromi ihm nie, was sie für ihn empfand. Damals glaubte sie nicht, dass je eine besondere Beziehung zwischen ihnen entstehen könnte. Sie war schon zufrieden damit, ein bisschen zur Familie zu gehören.
Doch obwohl sie ihre Gefühle zu verbergen suchte, musste Yoshitaka etwas gemerkt haben. Sein Verhalten ihr gegenüber veränderte sich. Hatte er sie zunächst freundschaftlich oder wie eine jüngere Schwester behandelt, mischte sich allmählichetwas anderes in seinen Blick. Dieses andere ließ ihr Herz höher schlagen.
Eines Abends dann vor drei Monaten, als sie noch spätabends in der Schule gearbeitet hatte, rief Yoshitaka an.
»Ayane hat mir erzählt,
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