Heilige Scheiße - Bonner, S: Heilige Scheiße: Wären wir ohne Religion wirklich besser dran?
unter den Menschen von heute«, ließ jedoch darauf hinweisen, »dass es nach Überzeugung der katholischen Kirche [...] im Gottesdienst und im katechetischen Gebrauch immer der Grundlage einer treuen, den Sprachstil bewahrenden Übersetzung des biblischen Textes bedarf«. Dass Sünden im Volxbibeljargon neuerdings »Scheiße bauen« heißen, kam auch nicht überall gut an.
Ob die himmlische Geschichte durch ein neues Wortgewand glaubhafter wird, mag man bezweifeln: Laut einer Emnid-Umfrage glaubt auch die Mehrheit der Menschen unter dreißig nicht an die Auferstehung Jesu, sondern meint, dass es sich lediglich um eine Vision seiner Jünger handelt. Viel eher sind wir bereit, uns auf das Gedankenexperiment einzulassen, dass Michael Jackson oder Elvis ihren eigenen Tod inszeniert haben, weil sie auch nach ihrem Ableben noch ständig gesichtet werden.
»Für mich gibt es kein Leben nach dem Tod. Da es gemäß den zehn Geboten nicht erlaubt ist, sich davon ein Bild zu machen, muss ich mich nicht weiter drum kümmern.«
Harald Schmidt
Dass es vielen von uns so schwerfällt zu glauben, was in der Bibel steht, liegt an unserem grundsätzlichen Argwohn, auch der bildlichen Sprache des Schinkens gegenüber. Was man davon wörtlich nehmen soll, ist uns nicht ganz klar. Nachdem wir in der Schule gelernt haben, dass es äußerst unwahrscheinlich ist, dass jemand zur Salzsäule erstarrt, nur weil er etwas Schlimmes gesehen hat, oder dass man in einem Tiermagen drei Tage überlebt, sind wir nicht gewillt, die Geschichten von Lot und Jona einfach so hinzunehmen. Und wer glaubt noch an Adams Rippe, wenn er in Biologie die Spuren des Lebens unter dem Mikroskop bis zur Zellteilung beim Einzeller zurückverfolgt hat? Schuld sind also eigentlich mal wieder die Lehrer – und letztlich auch die Medien, die uns die Flausen des kritischen Denkens in den Kopf gesetzt haben. Mit der Daten- und Infoflut im Internet ist die Frage nach der Quelle und ihrer Verlässlichkeit so wichtig wie nie zuvor. Die vielen Skandale, die investigative Journalisten ständig aufdecken, sowie Guttenplags und Vroniplags haben uns vollends davon überzeugt, nur an Wahrheiten zu glauben, deren Faktenlage eindeutig gesichert ist, und im Zweifelsfall hinter allem vorsichtshalber eine Verschwörung zu wittern.
Geht man mit dieser kritischen Haltung an die Bibellektüre, bleibt von der wörtlich zu nehmenden Substanz nicht viel übrig, außer vielleicht ein paar etwas langweiligen, veralteten Gesetzen.
Wer die Bibel heute liest, dem leuchtet vieles von dem nicht mehr ein, was einst Gesetz war. Nehmen wir zum Beispiel Weihnachten: Das Fest feiern die meisten wegen des geselligen Beisammenseins, des leckeren Essens und der vielen Geschenke – was sie nicht davon abhält, in die gute Stube unter den Weihnachtsbaum eine Krippe mit Tierfiguren, den heiligen drei Königen und Baby Jesus zu stellen. Doch wie realistisch ist diese biblische Kitscharie wirklich? Es fängt schon damit an, dass niemand ganz genau weiß, wann Jesus eigentlich geboren worden ist, wie Walter-Jörg Langbein in seinem Lexikon der biblischen Irrtümer erklärt. Der 24. Dezember, den die meisten deutschen Fonduekocher und Weihnachtsgansbrater als Geburtstag vermuten, ist äußerst unwahrscheinlich. Die Forschung hält den 6. Januar für ein mögliches Geburtsdatum. Dass sich die Kirchen irgendwann auf den 25. Dezember festgelegt haben, könnte nach Theologenansicht mehrere Gründe haben: An den Tagen vom 21. bis 25. Dezember feierte man damals auf dem europäischen Kontinent vielfach die Wintersonnenwende und in Ägypten, Syrien, Persien und Phönizien die Geburt eines Sonnengottes. Die Vermutung liegt nahe, dass man einfach bestehende Bräuche übernommen hat, damit sich die breite Öffentlichkeit mit dem Christentum anfreunden konnte. Je weniger Neuerungen man sich angewöhnen muss, umso weniger stört man sich daran, welchen Gott man da eigentlich anbetet. Gräbt man weiter, stößt man auch auf den damals im Römischen Reich überall verbreiteten Mithraskult, der starke Parallelen zum jungen Christentum aufweist und sogar kurze Zeit Staatsreligion war: Die Priester hießen ebenfalls »patres«, Väter, die Gläubigen »fratres«, Brüder, darüberhinaus gab es ein Abendmahl, bei dem Wein und Brot ausgegeben wurden, die Vergebung von Sünden, ein Jüngstes Gericht und Tote, die wieder auferstehen. »Da die junge christliche Kirche den fremden Kult in seinen ähnlichen Variationen nicht
Weitere Kostenlose Bücher