Heiliger Bimbam – DuMonts Digitale Kriminal-Bibliothek: Gervase-Fen-Serie (German Edition)
er würde nur wieder ins Delirium fallen. Bevor sie merkten, daß etwas nicht stimmte, hielten sie ihn fünf Minuten lang fest, so daß das Gift in Ruhe wirken konnte.«
Es herrschte Totenstille. Niemand bewegte auch nur einen Muskel.
»Und nun, Gentlemen«, sagte der Praecentor ohne irgendeine Emotion in der Stimme, »werden wir mit unserer Besprechung beginnen.«
Kapitel 5
Mutmaßungen
Here’s a wild fellow.
William Shakespeare
Fürwahr, ein wilder Geselle.
Geoffrey bestellte noch ein Bier und betrachtete die Sache allmählich in einem rosigeren Licht. Er gelang ihm sogar, sich vorübergehend aus trübsinniger Grübelei zu befreien, und schaute sich um. Die Bar des »Whale and Coffin« war überfüllt – überfüllt mit Menschen, die keine Ahnung davon hatten, so sinnierte er, was er und die anderen vor knapp einer halben Stunde im Salon des Gästehauses erfahren hatten. Sie plauderten mit stoischer Resignation über den Fortgang des Krieges, die Qualität des Biers und die kleineren Unannehmlichkeiten, die damit einhergingen, am Leben zu sein. Sie tranken, wenn nicht mit Genuß, so doch zumindest mit dem Anschein von Vergnügen – die meisten von ihnen Männer, obgleich in einer Ecke eine mollige, gutgekleidete, stark geschminkte Frau mittleren Alters saß und geduldig, damenhaft an einem Glas ölig aussehendem Stout nippte, während in einer anderen Ecke eine blasse, anämische, unscheinbare junge Frau schweigsam in Gesellschaft eines ebenfalls blassen, anämischen, unscheinbaren jungen Mannes trank. Es herrschte keine ausgelassene, lärmende Stimmung, aber zumindest Frieden.
Der Anschein von Frieden, dachte Geoffrey. Was ist Frieden? Ein Eis am Stiel in der Sonne? In Tolnbridge herrschte gewiß kein Frieden, keine heitere Gelassenheit. Unter dem ruhigen Alltag in der Kathedralenstadt lauerten Mächte, die wuchtig und verheerend an die Oberfläche drängten. Hinter der vertrauten Maske einiger dieser Leute lagen womöglich Haß und Mord. Den Wirt hatte Geoffrey seit seinem ersten Besuch nicht mehr gesehen, was ihn sowohl ärgerte als auch erleichterte: Ersteres, weil er mit dem Entschluß hergekommen war, den Mann rundheraus um eine Erklärung für sein seltsames Verhalten zu bitten, und letzteres, weil er der Begegnung nicht gerade mit Zuversicht entgegensah. Die Segnungen aufgezwungenen Aufschubs! Zu seiner Linken erzählte ein Soldat ohne Unterlaß von einem kleineren Mißgeschick des Armeelebens.
»… er sitzt also vorne im Laster, ja, und der ganze Hügel ist mit verdammten Schlaglöchern durchsiebt, und er hüpft auf und ab wie eine verdammte Marionette, ja …«
Die Stimme verblaßte zu einem Gemurmel im Hintergrund. Ein großer, stämmiger Mann kam herein und drängte sich zur Theke durch. Allem Anschein nach war er ein Mensch, der einen gewissen Einfluß genoß, denn die Unterhaltung stockte, als er kam, und die Gäste betrachteten ihn mit Neugier und Interesse, als erwarteten sie von ihm eine weise Äußerung. Doch er bestellte nur ein Bitter und eine Packung Players, und das allgemeine Gespräch wurde wieder aufgenommen.
»… er also in dem Laster, ja, der verdammte Hügel völlig durchlöchert, und die Granaten hinten tanzen wie Erbsen im Topf …«
Kultivierte Menschen, dachte Geoffrey, reagieren seltsam auf die Nachricht eines gewaltsamen Todes. Niemand hatte geschrien oder mit erschrecktem Zischen nach Luft geschnappt; es war auch nur sehr wenig gesagt worden, und die Gesellschaft hatte sich gleich darauf aufgelöst, damit die Geistlichen ihre Besprechung anfangen konnten. Frances hatte die Einladung, noch etwas zu trinken, abgelehnt und war mit einem Buch auf ihr Zimmer gegangen; Fielding hatte ganz typisch auf die Nähe zum Meer reagiert, indem er die Absicht verlauten ließ, ein bißchen am Strand in den Felsen herumzustöbern; Dutton war ins Bett gegangen, und Peace war verschwunden, niemand wußte, wohin. Es ärgerte Geoffrey noch immer, daß keiner von den Leuten so wie er das Bedürfnis nach Alkohol verspürt hatte; er fühlte sich moralisch schwach. Zwar hatte er der Versuchung zehn Minuten lang widerstanden, als er einen flüchtigen und wenig anregenden Erkundungsgang durch den Garten unternommen hatte, doch am Ende hatte sie gesiegt – die Versuchung und der dringende Wunsch, so schob er hastig, aber ohne Überzeugung beschönigend nach, noch einmal mit dem Wirt vom »Whale and Coffin« zu sprechen. Der war jedoch ganz offensichtlich nicht da oder hielt sich in einer
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