Heiliger Bimbam – DuMonts Digitale Kriminal-Bibliothek: Gervase-Fen-Serie (German Edition)
hängend – Seil. Grabplatte bewegt .«
Es trat eine kurze Stille ein. Geoffrey mußte an die Umstände denken, unter denen er diese Worte zum erstenmal gehört hatte; ihre Wirkung auf ihn war auch jetzt kaum schwächer. »Die ganze Nacht in einer leeren Kathedrale zu sein, ist nicht gerade angenehm« – nicht einmal für Phantasielose. Er erinnerte sich an einige Worte, die er vor langer Zeit in einer Geschichte gelesen hatte: »In seinen unaufgeklärten Zeiten hatte er von Treffen an solchen Orten gelesen, an die zu denken selbst jetzt kaum erträglich war.« Und selbst wenn die Begegnung, wie es ja schien, körperlicher Natur gewesen war, in einer solchen Umgebung hätte sie auch einen Mann mit starken Nerven tief erschüttern können. Geoffrey äußerte sich dementsprechend.
Fen nickte. Er wirkte erstaunlich finster, aber wer ihn gut kannte, hätte das als Anzeichen dafür gesehen, daß ihm gewisse Dinge allmählich klar wurden. Er sagte nichts, sondern sammelte ihre Gläser ein, warf noch einen weiteren Blick auf den leidigen Klingelknopf und ging zur Theke, um eine neue Runde zu holen. Als er wiederkam, knallte er die Gläser auf den Tisch, setzte sich schwer hin und sagte: »Nun?«
Der Inspektor zuckte die Achseln. »Nachtgedanken …« murmelte er unklar.
Fen sog scharf die Luft ein. »Es ist wohl mein Schicksal«, sagte er, »immer nur literarischen Polizisten zu begegnen …« Er schwenkte sein Glas, um ihnen flüchtig und nachlässig zuzuprosten, nahm einen großen Schluck Whisky, verschluckte sich leicht und fuhr in bitterem Klageton fort: »Wieso versteht nie mal einer etwas wörtlich … Drähte , Telegraphie, Elektrizität« – er blickte finster auf die defekte Apparatur auf dem Boden – » Klingelknöpfe ? Hängender Mann – Seil; Männer müssen nicht unbedingt am Hals an Seilen hängen; sie können daran hoch- und runterklettern, mit bestimmten und möglicherweise kriminellen Absichten. Grabplatte, bewegt: aktiv oder passiv? Bewegt von allein oder bewegt worden ?« Er hielt inne. »Soweit scheint es ganz eindeutig. Und welcher Teil der Kathedrale ist unzugänglich, außer man klettert an einem Seil hoch – keine Treppe?«
Die Augen des Inspektors leuchteten vor plötzlichem Begreifen; er erhob sich halb. Fen nickte.
»Genau. Die Bischofsgalerie.«
Geoffrey glotzte verständnislos. »Die was?«
Fen wandte sich an ihn. »Natürlich. Sie kennen die Kathedrale ja nicht gut. Die Orgelempore ist hoch über dem südseitigen Chorgestühl, auf der Südseite des Altarraumes. Von dort verläuft eine schmale Galerie nach Westen, in Richtung Hauptschiff, bis zu der großen Säule, wo das südliche Querschiff anfängt; von dieser Seite aus ist sie nicht zu betreten. Es gibt nur zwei Möglichkeiten, dorthin zu gelangen: erstens, von der Orgelempore aus, ein Zugang, der seit dem 18. Jahrhundert zugemauert ist; und zweitens, über eine Wendeltreppe, die nach unten in einen kleinen Raum und dann zu einer Außentür führt, die ebenfalls zugemauert ist. In dem kleinen Raum liegt der Leichnam von John Thurston begraben, Bischof von 1688 bis 1705 und der letzte Hexenverfolger – daher auch der Name der Galerie darüber. Also, wenn man nicht ein Loch in eine verputzte Backsteinwand reißen will, gelangt man nur mit Hilfe eines Seils auf die Galerie.« Er wandte sich an den Inspektor. »Ich nehme an, die verputzte Backsteinwand war unangetastet?«
Der Inspektor nickte; eine unbestimmte Nervosität machte sich in ihm breit. »Da haben wir mit als erstes nachgesehen. Nein, sie war nicht angetastet worden – und es ist ganz unmöglich, so etwas zu kaschieren. Allerdings wäre es ein Kinderspiel, von der Orgelempore aus ein Loch in die Trennwand zu brechen; sie ist dünn, und allem Anschein nach wurde sie ziemlich hastig hochgezogen. Aber jetzt zu der Sache mit dem Seil. Ich gebe zu, daß man nur mit einem Seil auf die Galerie und wieder herunterkäme – das Wandgrab von St. Ephraim befindet sich direkt darunter. Es ist mit Vorhängeschlössern gesichert, und es steht nicht vor, so daß man nirgendwo Tritt- und Haltemöglichkeiten findet, auch nicht an den Säulen auf beiden Seiten – die sind glatt wie Glas. Aber wie soll man da überhaupt ein Seil befestigen, damit man an ihm hochklettern kann?«
Fen schnaubte verächtlich und kippte seinen Whisky hinunter. »Ein gräßliches Zeug«, sagte er, und dann: »Für einen erfahrenen Lassowerfer mit einem leichten Strick wäre das überhaupt kein Problem.
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