Heiliger Bimbam – DuMonts Digitale Kriminal-Bibliothek: Gervase-Fen-Serie (German Edition)
unerwartet, waren sie da.
Die Kathedrale lag in tiefer Dunkelheit. Ein paar letzte Lichtstrahlen fielen noch durch die Fenster, lagen auf den Kapitellen mit ihren Blattornamenten. Riesige Schatten huschten mit beängstigender Schnelligkeit dahin. Geoffrey konnte undeutlich den großen viermanualigen Spieltisch der Orgel sehen, den Aufbau darüber mit den aufragenden Pfeifen und zu seiner Linken einen großen Notenschrank, der an der Backsteinwand stand, die die Orgelempore von der Bischofsgalerie trennte. Er ging mit Fen und dem Inspektor zu der hohen Holzumrandung, die über den Altarraum ragte, und sie hievten sich hoch und spähten nach unten. Fens starke Taschenlampe zerschnitt die Dunkelheit; Staubkörnchen funkelten und schwebten in dem Strahl; das Licht schuf eine neue Welt aus Schatten um sie herum.
Und so kam es, daß Geoffrey, als er nach unten und ein wenig nach links unterhalb der Bischofsgalerie schaute, die gewaltige Steinplatte sah, die scheinbar schwebend und ganz sachte wippend unten auf dem Boden lag, die mächtige Höhle – das Grab von St. Ephraim – erspähte, die sie ausgefüllt hatte, und, als das Licht sich verschob, den schwarzen Schuh eines Mannes unter dem schweren Stein hervorragen sah.
Mit erstickter Stimme entfuhr es dem Inspektor: »Da liegt einer drunter. Es ist …«
Er hielt inne. Auf der äußeren Seite des Altarraums wurde an einem Schloß gerüttelt und eine Tür aufgestoßen. Der Constable, der zurückgekommen war und niemanden mehr angetroffen hatte, betrat die Kathedrale. Er blieb stehen, erschreckt durch die Taschenlampe, blickte rasch nach oben zur Orgelempore und ging, eine Hand am Schlagstock, ein paar Schritte ins Hauptschiff.
»Potter!« rief der Inspektor. »Bleiben Sie an der Tür! Wir sind gleich unten. Rühren Sie sich nicht von der Stelle, und lassen Sie niemanden raus!« Seine Stimme weckte tausend täuschende Echos in dem Gebäude. Der Constable salutierte und ging zurück zur Tür.
Drei Minuten später standen sie an der Steinplatte und vor dem Etwas, das darunter lag. Jeder mögliche Ausgang der Kathedrale war bewacht, und niemand konnte hinaus. Nicht einmal mit den vereinten Kräften aller Männer hatte sich die Platte mehr als ein paar Zentimeter bewegen lassen.
»Es ist unheimlich«, flüsterte Fielding Geoffrey zu. »Es ist niemand hier, und diese verdammte Platte bricht aus der Wand wie …« Er hielt abrupt inne, und sie beide spähten in die häßliche, schwarze Höhle in der Wand. Unter den gegebenen Umständen war kein weiterer Kommentar erforderlich.
Der Inspektor wischte sich über die Stirn.
»Wir brauchen einen Kran, um das Ding zu heben«, knurrte er. »Und daß er noch lebt, ist unwahrscheinlich: er muß sämtliche Knochen im Leib gebrochen haben. Das steht wohl außer Zweifel –«
Fen nickte. »Das würde ich auch sagen … Erst Brooks und jetzt Dr. Butler, der Praecentor …«
Kapitel 7
Motiv
Look always on the motive, not the deed.
William Butler Yeats
Das Motiv ist entscheidend, nicht die Tat.
Fielding war schließlich überredet worden, nach Hause zu gehen.
»Grabraub«, sagte der Inspektor aufgewühlt. »Genau das geht hier vor. Zwei Gräber in weniger als einer Stunde geöffnet.« Er schlug wütend auf den Tisch. »Ich bin selbst mit dem Seil auf die Bischofsgalerie geklettert – da sah es aus wie in einem regelrechten Musterhaushalt. Staub und Spinnweben von Jahrhunderten ordentlich in die Ecken gefegt. Und nichts da. Auch nicht in dem stinkigen Grab die Treppe runter. Der Vogel ist ausgeflogen. Was immer auch da war, es ist weg.« Er zündete sich mit solchem Ingrimm eine Zigarette an, als hätte sie ihn persönlich beleidigt.
Fen, den langen, schlaksigen Körper in einem der Gästehaussessel ausgestreckt, trank einen Schluck Whisky und starrte mit leerem Blick vor sich hin. »Nun, genau das war ja zu erwarten, oder?« sagte er. »Es beweist zumindest, daß wir auf der richtigen Fährte sind.« Sein Gesicht verhärtete sich. »Eine seltsame Sache, Garratt – äußerst seltsam. Beinahe zu seltsam, um real zu sein. Unfall? Nein, nein. Selbstmord? Lächerlich. Mord unmöglich, würde ich sagen – und was für eine Methode!« Er nahm wieder einen Schluck Whisky und grübelte weiter.
Es war kurz vor Mitternacht. Die Grabplatte war mit enormem Aufwand schließlich gehoben worden, so daß der erbarmungswürdige, zerquetschte Leichnam des Kantors geborgen werden konnte. Während die Türen weiterhin bewacht wurden, hatte
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