Heiliger Zorn
Anweisung, Kleidung für die Gefangene zu holen.
Als Kovacs, der die Jagd persönlich überwacht hatte, zurückkehrte, hatte man dafür gesorgt, dass sie angezogen auf einem Stuhl mitten im Wohnzimmer der Hütte saß. Ihre Hände lagen ordentlich übereinandergelegt im Schoß, sodass die Fessel nicht zu sehen war. Der Yakuza stand in respektvollem Abstand zu ihr und hielt weiterhin die Waffen bereit. Der Möchtegernliebhaber schmollte in einer Ecke, ohne Waffen, mit angeschwollener Wange und aufgeplatzter Oberlippe. Kovacs überblickte schnell die Situation und wandte sich dann an den Yakuza neben ihm. Ein gemurmelter Wortwechsel, der die akustische Empfindlichkeit der Mikrokams überforderte. Er nickte und wandte sich wieder der Frau zu, die vor ihm saß. Aus seiner Haltung las ich ein seltsames Zögern.
Dann drehte er sich zur Eingangstür um.
»Anton, würden Sie bitte hereinkommen?«
Der Kommandokopf der Schädel-Bande trat in den Raum. Als die Frau ihn sah, verzog sich ihr Mund.
»Du stinkendes, verräterisches Stück Scheiße!«
Antons Lippen kräuselten sich, aber er sagte nichts.
»Ich glaube, Sie kennen sich bereits.« Aber es lag ein leicht fragender Tonfall in Kovacs’ Stimme, und er musterte die Frau immer noch aufmerksam.
Sylvie wandte ihm kurz den Blick zu. »Ja, ich kenne dieses Arschloch. Und? Hat das irgendwas mit Ihnen zu tun, Sie Wichser?«
Er starrte sie an, und ich spannte mich an. Dieses Szenen sah ich zum ersten Mal, und ich wusste nicht, was er tun würde. Was hätte ich in diesem Alter getan? Nein, Frage streichen. Was würde ich in diesem Alter tun? Mein Geist flog zurück durch die abgelagerten Jahrzehnte voller Gewalt und Zorn und bemühte sich um eine Vorhersage.
Aber er lächelte nur.
»Nein, Miss Oshima. Mit mir hat es nichts mehr zu tun. Sie sind ein Paket, das ich in einwandfreiem Zustand überbringen soll, das ist alles.«
Jemand murmelte, jemand anderer lachte schallend. Mein immer noch hochgefahrenes Neurachem fing einen ordinären Witz über Pakete auf. Mein jüngeres Ich im Datengitter hielt inne. Sein Blick zuckte zum Mann mit der verletzten Lippe hinüber.
»Sie da. Kommen Sie her!«
Der Mann wollte nicht. Man konnte es seiner Haltung ansehen. Aber er war ein Yakuza, und letztlich ging es bei ihnen nur um die Wahrung des Gesichts. Er richtete sich auf, erwiderte Kovacs’ Blick und trat mit einem spöttischen Grinsen vor. Kovacs sah ihn mit neutralem Ausdruck an und nickte.
»Zeigen Sie mir Ihre rechte Hand.«
Der Yakuza legte den Kopf schief, den Blick weiter auf Kovacs’ Augen gerichtet. Es war eine Geste unverschämten Trotzes. Er hob die Hand mit locker ausgestreckten Fingern wie eine gekrümmte Klinge. Wieder neigte er den Kopf, diesmal auf die andere Seite, und immer noch starrte er diesem Scheiß-tani in die Augen.
Kovacs bewegte sich mit der Schnelligkeit eines zerrissenen, peitschenden Trawlerkabels.
Er packte die Hand am Gelenk und riss sie herunter, blockierte mit dem Körper die Reaktionsmöglichkeiten des Mannes. Er streckte den Arm aus, legte die andere Hand um den Ringergriff beider Körper herum und zielte mit dem Blaster. Ein Strahl flammte auf.
Der Yakuza schrie auf, als seine Hand verbrannte. Der Blaster musste auf niedrigste Leistung eingestellt sein, denn die meisten Strahlenwaffen ließen einen Körperteil auf der Breite der Entladung einfach verdampfen. In diesem Fall wurden nur Haut und Muskeln bis auf die Knochen und Sehnen weggebrannt. Kovacs hielt den Mann noch einen Moment lang fest, dann stieß er ihn mit einem Ellbogenschlag gegen den Kopf von sich weg. Der Yakuza brach auf dem Boden zusammen, die versengte Hand in die Armbeuge gepresst. Er weinte hemmungslos, und es war zu sehen, dass er sich in die Hosen gemacht hatte.
Kovacs beherrschte seine Atmung und blickte sich im Raum um. Versteinerte Mienen starrten zurück. Sylvie wandte das Gesicht ab. Ich konnte beinahe den Gestank von gebratenem Fleisch riechen.
»Sofern sie nicht zu fliehen versucht, fasst keiner sie an, und keiner spricht mit ihr. Das gilt für alle. Ist das klar? Im größeren Zusammenhang seid ihr alle nicht mehr wert als der Dreck unter meinen Fingernägeln. Bis wir wieder in Millsport sind, hat diese Frau für euch göttlichen Status. Ist das klar?«
Stille. Der Anführer der Yakuza bellte auf Japanisch. Gemurmelte Zustimmung wurde nach der Standpauke hörbar. Kovacs nickte und wandte sich an Sylvie.
»Miss Oshima, wenn Sie mir jetzt bitte folgen
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