Heiliger Zorn
abhalten soll. Diese DeCom-Kommandoscheiße ist technisch auf dem neuesten Stand.«
»Damit wären wir wieder dort, wo wir angefangen haben. Wenn sie in Wirklichkeit gar nicht Quell ist, warum hast du dann solche Angst vor ihr?«
Er sah mich blinzelnd an. »Warum ich…? Scheiße, Mann, weil es nicht darum geht, ob sie Quell ist oder nicht, sondern weil sie glaubt, sie zu sein. Das ist eine schwere Psychose. Würdest du einer Psychotikerin Zugang zu so einer Software geben?«
Ich zuckte die Achseln. »Nach dem, was ich in New Hok gesehen habe, trifft diese Beschreibung auf die Hälfte der DeComs zu. Eine ausgewogene Psyche scheint nicht gerade zu ihrem Berufsbild zu gehören.«
»Ja, aber ich bezweifle, dass viele von ihnen überzeugt sind, die Wiedergeburt einer Revolutionsführerin zu sein, die seit dreihundert Jahren tot ist. Ich bezweifle, dass sie komplette Zitate…«
Er hielt inne. Ich sah ihn an.
»Was für Zitate?«
»Na, dieses Zeug eben. Du weißt schon.« Er wandte nervös den Blick ab. »Altes Zeug aus dem Bürgerkrieg. Du musst doch gehört haben, wie sie manchmal redet, wenn sie in diesem altertümlichen Japanisch brabbelt.«
»Ja, das habe ich. Aber das ist es nicht, was du eigentlich sagen wolltest, Plex.«
Er versuchte vom Autoformbett aufzustehen. Ich trat näher, und er erstarrte. Ich sah ihn mit dem gleichen Ausdruck an, den ich gehabt hatte, als ich von meiner Familie gesprochen hatte. Ich hob nicht mal die Monomolwaffe.
»Was für Zitate?«
»Mann, Tanaseda würde…«
»Tanaseda ist nicht hier. Sondern ich. Was für Zitate?«
Er knickte ein. Gestikulierte matt. »Ich weiß nicht mal, ob du verstehen würdest, wovon ich rede, Mann.«
»Versuch es.«
»Es ist ziemlich kompliziert.«
»Nein, es ist ganz einfach. Ich werde dir auf die Sprünge helfen. In der Nacht, als ich meinen Sleeve abholen wollte, hast du mit Yukio über sie gesprochen. Mein erster Gedanke war, ihr würdet irgendwelche Geschäfte mit ihr machen, doch mein zweiter Gedanke war, dass du sie in dieser Hafenspelunke getroffen hast, in die du mich zum Frühstück geschleppt hast, richtig?«
Er nickte widerstrebend.
»Okay. Also ist das Einzige, was ich mir nicht erklären kann, die Frage, warum du so überrascht warst, sie dort zu sehen.«
»Ich hatte nicht erwartet, dass sie zurückkommen würde«, murmelte er.
Ich erinnerte mich, wie ich sie in jener Nacht zum ersten Mal gesehen hatte, an ihren entrückten Gesichtsausdruck, als sie sich im Spiegelholztresen angestarrt hatte. Mein Envoy-Gedächtnis grub ein Gesprächsfragment aus, später im Apartment in Kompcho. Orr, der sich über Lazlos Eskapaden ausließ:
… ist immer noch hinter dieser Waffenbraut mit dem Wahnsinnsausschnitt her, was?
Und Sylvie: Was meinst du?
Du weißt schon. Tamsin, Tamita, wie auch immer sie hieß. Die aus der Bar am Muko. Kurz bevor du dich allein verpisst hast. Himmel, du warst doch dabei, Sylvie. Ich hätte nicht gedacht, dass man diesen wandelnden Waffenschrank vergessen kann.
Und Jad: Sie ist nicht dafür ausgerüstet, solche Art von Bewaffnung zu bemerken.
Ich erschauderte. Nein, das war sie nicht. Sie war nicht dafür ausgerüstet, sich an allzu viel zu erinnern, als sie in der Nacht von Tekitomura herumgeirrt war, hin und her gerissen zwischen Sylvie Oshima und Nadia Makita alias Quellcrist Falconer. Nicht dafür ausgerüstet, viel mehr zu tun, als sich an ein paar heraufgeholten Fragmenten aus Erinnerungen und Träumen zu orientieren, um schließlich in irgendeiner Bar zu landen, wo sie gerade dabei war, sich selbst wieder zusammenzusetzen, als eine verbissene Gang von bärtigem Abschaum mit göttlicher Lizenz zum Töten aufkreuzt und ihr das Gesicht in den Dreck der angeblichen Minderwertigkeit ihres Geschlechts drücken will.
Ich erinnerte mich an Yukio, wie er am nächsten Morgen in das Apartment in Kompcho gestürzt war. Die Wut in seinem Gesicht.
Kovacs, was genau, zum Teufel, denken Sie eigentlich, was Sie hier machen?
Und seine Worte an Sylvie, als er sie sah.
Sie wissen, wer ich bin.
Nicht die leiseste Erwähnung seiner offensichtlichen Mitgliedschaft in der Yakuza. Er dachte, sie würde ihn kennen.
Und Sylvies gelassene Antwort. Ich habe keine Scheißahnung, wer sie sind. Weil sie es in diesem Moment wirklich nicht gewusst hatte. Die Envoy-Erinnerung zeigte mir deutlich die Ungläubigkeit in Yukios Miene. Es war gar keine verletzte Eitelkeit gewesen. Er war aufrichtig erschüttert gewesen.
In den wenigen
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