Heiliger Zorn
versehen; sie bohrte sich ein Loch in die Kaimauer aus Beton, einen halben Meter unter der Stelle, wo ich stand. Der Skimmer zog sich heran, und Segesvar sprang aus dem Cockpit auf den Bug, von wo er zu mir heraufschaute.
»Du kannst meinen Namen gerne noch ein paarmal laut brüllen«, forderte ich ihn in trockenem Tonfall auf. »Falls jemand ihn beim ersten Mal nicht richtig verstanden hat.«
»Ups.« Er legte den Kopf schief und breitete die Arme in einer Geste der Entschuldigung aus, mit der er niemanden täuschen konnte. Er war immer noch sauer auf mich. »Das dürfte einfach an meiner natürlichen, offenherzigen Art liegen. Welchen Namen führst du derzeit?«
»Vergiss es. Willst du den ganzen Tag da unten rumstehen?«
»Ich weiß nicht. Reichst du mir eine Hand, damit ich raufkommen kann?«
Ich griff nach unten. Segesvar nahm meine Hand und zog sich mit meiner Hilfe auf den Kai. Stiche fuhren durch meinen Arm, als ich ihn heraufzog, und gingen in ein schmerzhaftes Brennen über. Ich bezahlte immer noch für meinen gestoppten Absturz vom Horst. Der haiduci zog seine makellos geschneiderte Jacke glatt und fuhr pingelig mit einer Hand durch das schulterlange schwarze Haar. Radul Segesvar hatte es früh genug weit genug gebracht, um Klonkopien des Körpers, in dem er geboren wurde, finanzieren zu können. Das Gesicht, das er unter der Sonnenbrille trug, war sein eigenes – trotz des Klimas blass, schmal und grobknochig, ohne einen sichtbaren Hinweis auf japanische Vorfahren. Es krönte einen ebenso schlanken Körper, den ich auf Ende zwanzig schätzte. Prinzipiell lebte Segesvar in jedem Klon vom frühen Erwachsenenalter bis zum Punkt, an dem er, wie er es ausdrückte, nicht mehr ficken oder kämpfen konnte, wie er es gewohnt war. Ich wusste nicht, wie viele Male er schon resleevt worden war, weil ich seit den Jahren unserer gemeinsamen Jugend in Newpest den Überblick verloren hatte, welche Zeitspanne er tatsächlich gelebt hatte. Wie die meisten haiduci – und wie ich – hatte er einen Teil seiner Zeit in der Einlagerung verbracht.
»Netter Sleeve«, sagte er anerkennend und ging einmal im Kreis um mich herum. »Sehr nett. Was ist mit dem anderen passiert?«
»Lange Geschichte.«
»Die du mir nicht erzählen wirst.« Er schloss den Kreis und nahm die Sonnenbrille ab. Starrte mir in die Augen. »Richtig?«
»Richtig.«
Er seufzte theatralisch. »Das ist enttäuschend, Tak. Sehr enttäuschend. Du wirst allmählich genauso maulfaul wie all die schlitzäugigen Scheißtypen aus dem Norden, mit denen du deine Zeit verbringst.«
Ich zuckte die Schultern. »Ich bin selbst ein halber schlitzäuiger Scheißtyp aus dem Norden, Rad.«
»Ach ja, stimmt. Ich vergaß.«
Hatte er natürlich nicht. Er wollte nur Druck machen. In gewisser Hinsicht hatte sich seit der Zeit, als wir bei Watanabe herumgehangen hatten, nicht viel verändert. Schon damals war er immer derjenige gewesen, der uns in Kämpfe hineingeritten hatte. Auch der Meth-Dealer war ursprünglich seine Idee gewesen.
»Drinnen habe ich eine Kaffeemaschine. Willst du einen?«
»Wenn es sein muss. Wenn du zur Farm rausgefahren wärst, hätten wir echten Kaffee trinken und einen Seehanfjoint rauchen können, mit der Hand gerollt, auf dem Schenkel der besten Holoporno-Schauspielerin, die man mit Geld bezahlen kann.«
»Ein andermal.«
»Ja, du bist immer so scheißbeschäftigt, nicht wahr? Wenn es nicht die Envoys oder die Neoquellisten sind, dann verfolgst du gerade irgendeinen beschissenen persönlichen Racheplan. Weißt du, Tak, eigentlich geht es mich ja nichts an, aber irgendwer muss es dir mal sagen, und wie es scheint, ist es mein Job. Du musst damit aufhören und mal wieder Kraut schnuppern, Mann. Erinnere dich daran, dass du lebst!« Er setzte die Sonnenbrille wieder auf und deutete mit einem Nicken zum Terminal. »Also gut, gehen wir. Maschinenkaffee, warum nicht? Ist mal was Neues.«
Zurück in der Kühle setzten wir uns an einen Tisch neben Glaswänden, durch die man auf den Hafen hinausblicken konnte. Ein halbes Dutzend anderer Zuschauer saß mit dem Gepäck neben sich hier herum und wartete. Ein verlebt aussehender Mann in Lumpen machte zwischen ihnen die Runde, hielt den Leuten eine Schale für Kreditchips hin und bot jedem Interessierten eine traurige Lebensgeschichte an. Die meisten waren nicht interessiert. In der Luft lag der leichte Duft eines billigen Desinfektionsmittels, der mir zuvor nicht aufgefallen war. Offenbar waren in der
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