Heiliger Zorn
Ich wechselte erleichterte Blicke mit Kiyoka. Jadwiga tätschelte mir die Hüfte und bettete den Kopf auf meine Schulter. Ich warf Sylvie einen bösen Blick zu. Hinter uns knackte ein Lautsprecher.
»Meine Damen und Herren, das Tor wird in fünf Minuten geöffnet. Überprüfen sie ihre Siegel.«
Das Surren von Gravmotoren, das leichte Kratzen schlecht ausgerichteter Laufschienen. Das Tor hob sich ruckend bis zur Spitze der Zwanzigmetertürme, und die DeComs trotteten oder fuhren, je nach Finanzlage, durch die Öffnung. Der Aktivdraht rollte sich zusammen, zuckte vor dem Aufräumfeld zurück, das unsere Siegel projizierten, und türmte sich zu übermannshohen Dickichten auf. Die Ränder des freien Pfads, auf dem wir uns bewegten, wanden sich wie etwas aus einem bösen take-Traum.
Weiter draußen kam Bewegung in die angewinkelten Beine der Spinnenwürfel, als sie das sich nähernde Siegelfeld erkannten. Bei unserer Annäherung wuchteten sie die kompakten, Polyederkörper vom geborstenen Dauerbeton hoch und krabbelten in Umkehrung der ihnen einprogrammierten Aufhalten-und-Zerquetschen- Funktion beiseite. Ich blieb wachsam, während wir zwischen ihnen hindurchfuhren. Eines Nachts hatte ich auf Hun Home in den Befestigungsanlagen des Kwan-Palasts gesessen und den Schreien gelauscht, als Maschinen wie diese eine Angriffswelle aufständischer Techninjas vollständig ausgelöscht hatten. Trotz ihrer Masse und blinden Schwerfälligkeit hatten sie nicht allzu lange gebraucht.
Fünfzehn wachsame Minuten später ließen wir die Verteidigungsanlagen des Landkopfs hinter uns und verteilten uns ungeordnet in den Straßen von Drava. Das Hafenpflaster wich schuttübersäten Durchfahrtsstraßen. Gelegentlich kamen wir an intakten, um die zwanzig Stockwerke hohen Apartmentgebäuden vorbei. Der Baustil entsprach dem Utilitarismus der Siedlerzeit – so nahe am Meer hatte man einfach Wohnraum hochgezogen, um den Bedürfnissen des aufblühenden Hafens Rechnung zu tragen, ohne dabei allzu viele Gedanken an Ästhetik zu verschwenden. Kleine, eingelassene Fenster spähten kurzsichtig aufs Meer hinaus. Die rauen Dauerbetonmauern waren von Geschützfeuer vernarbt und in Jahrhunderten der Vernachlässigung verfallen. Blaugraue Flechten markierten die Stellen, an denen der Antibak-Überzug versagt hatte.
Über uns tröpfelte wässriges Sonnenlicht durch die Wolkendecke und fiel in die stillen Straßen. Ein böiger Wind wehte von der Flussmündung her und schien uns anzutreiben. Ich warf einen Blick zurück und sah, wie Aktivdraht und Spinnenwürfel wie eine heilende Wunde hinter uns zusammenwuchsen.
»Ich denke, wir machen uns lieber an die Arbeit«, sagte Sylvie dicht neben mir. Orr hatte mit der anderen Gondel zu mir aufgeschlossen, und unser Kommandokopf saß hinter ihm. Sie wandte den Kopf bedächtig von einer Seite zur anderen, als würde sie eine Fährte suchen. »Wenigstens regnet es nicht.«
Sie berührte ein Kontrollfeld an ihrer Komweste. Ihre Stimme wurde in die Stille hinausgeworfen und prallte von den Hauswänden zurück. Die DeComs wandten sich um, erwartungsvoll und bereit wie ein Rudel Jagdhunde.
»In Ordnung, Freunde. Aufgepasst. Ohne hier das Kommando an mich reißen zu wollen…«
Sie räusperte sich. Flüsterte etwas.
»Aber irgendwer muss es ja tun…«
Räuspern.
»Irgendjemand muss verdammt noch mal etwas unternehmen. Wir haben es hier nicht mit einer Übung für…« Sie schüttelte andeutungsweise den Kopf. Ihre Stimme wurde wieder laut genug, um ein Echo zu erzeugen. »Das hier ist nicht irgendeine beschissene politische Wichsphantasie, für die wir kämpfen. Es geht um Tatsachen. Die Machthaber haben ihre Bündnisse geschmiedet, haben ihre Loyalitäten oder ihren Mangel an Loyalitäten gezeigt, haben ihre Entscheidungen getroffen. Und gleichzeitig hat man uns die Möglichkeiten zu Entscheidungen genommen. Ich will keine, ich will keine…«
Sie verstummte abrupt und senkte den Kopf.
Die DeComs standen bewegungslos da und warteten. Jadwiga sackte leblos an meinen Rücken zusammen und rutschte langsam vom Sitz. Ich griff mit einem Arm nach hinten und hielt sie fest. Schmerz blitzte durch das weiche, wollige Grau der Schmerzmittel und ließ mich zusammenzucken.
»Sylvie!«, zischte ich ihr zu. »Scheiße, reiß dich zusammen! Tauch gefälligst wieder auf, Sylvie!«
Sie blickte durch das Gewirr ihrer Haare zu mir auf, und für einen langen Moment schien ich ein völlig Fremder für sie zu sein.
»Reiß
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