Heimkehr der Vorfahren
hängenden Schultern kam er zurück. »Die Kodefizierungssysteme stimmen nicht überein«, sagte er leise und sank wie gebrochen in den Sessel.
Romain nickte vielsagend. Esperanto war den Menschen von heute unbekannt, ihr Fernsehen arbeitet mit anderen Bildfrequenzen und Impulsen – das konnte lustig werden!
Vor den Hochhäusern begann der Park. Eine Hecke trennte von ihm einen breiten Streifen für die Bewohner ab. Hier saß man ungestört, wenn man gemeinsam einen Feiertag beging oder ein Problem beriet, das jemand aus der Hausgemeinschaft nicht allein zu lösen vermochte. Hier entspannte man sich aber auch, indem man, zwischen Büschen verborgen, ein Buch las oder einfach das Grün ringsum auf sich wirken ließ.
Hierher hatte sich Raiger zurückgezogen. Seitdem Vena nach Universia abgeflogen war, suchte er regelmäßig den Park auf. Die leere Wohnung bedrückte ihn, er brauchte eine andere Umgebung, wenn er mit der Trennung fertig werden wollte. Er war sich noch nicht klar darüber, was er falsch gemacht haben sollte. Letztlich war Vena an allem schuld, sie allein mit ihrer Verstiegenheit, die sie als historische Studien bezeichnete. Daß sie seit ihrem Abflug nichts von sich hatte hören lassen, bestärkte ihn in seiner Meinung. Vermutlich wollte sie sich nicht bloßstellen, denn daß sie eine gehörige Abreibung bekommen hatte, war so sicher wie der wöchentliche Start zum Mond.
Seit einigen Tagen stellte er seinen Liegesessel so, daß er den Weg überblicken konnte und selber vom Weg aus zu sehen war.
Die junge Frau aus dem vierten Stock, der die Verstimmung zwischen ihm und Vena offensichtlich nicht entgangen war, kam mehrmals vorbei, wenn er im Liegesessel lag. Jedesmal trug sie Handwerkszeug bei sich: einen Rechen, eine Hacke, eine Rosenschere, oder sie brachte ihr Kind hinüber zum Sandkasten. Es gab viele Gründe, diesen Weg zu nehmen, wenn man ihn gehen wollte.
Heute war sie bereits dreimal vorbeigekommen. Zuerst in einem farbenfrohen Sommerkleid. Sie ließ das Kind im Buddelkasten zurück, brachte ihm kurz darauf, nun in einem schillernden Hausanzug, die Schaufel, und eine Stunde später – diesmal in einem rotschimmernden Kleid, die langen Haare aufgesteckt, die schlanken Beine in hochhackigen Silberschuhen, als wolle sie ausgehen – holte sie ihr Kind zurück. Und immer lächelte sie, wenn er ihren Blick erwiderte. Betrat sie das Haus, fand sie jedesmal einen Grund, sich unauffällig nach ihm umzudrehen.
Er schaute ihr nach und machte keinen Hehl daraus. Ihr Interesse tat ihm wohl; denn die Frau war hübsch, und es schmeichelte ihm, daß sie es der Mühe werthielt, sich umzukleiden und immer neue Gründe zu erfinden, bei ihm vorüberzugehen. Jetzt kam sie zum vierten Male, indessen anders als sonst. Keine zufällig scheinenden Blicke mehr. Schon von der Haustür her sah sie ihn an und ging direkt auf ihn zu.
Raiger richtete sich erwartungsvoll auf. Ihr Kommen galt unverkennbar ihm. Diese Courage imponierte ihm. Welchen Vorwand würde sie benutzen, um mit ihm ins Gespräch zu kommen?
Unwillkürlich erhob er sich.
»Entschuldigen Sie, wenn ich störe«, sagte sie, aber ihre Augen straften ihre Förmlichkeit Lügen.
»Davon kann keine Rede sein. Ich freue mich«, sagte Raiger verbindlich.
»Über das Fernsehen kam eine wichtige Meldung, sie wird in fünf Minuten wiederholt. Wenn Sie sich beeilen, erreichen wir noch meine Wohnung – bis zum neunten Stockwerk ist es zu weit. Gehen wir?«
»Worum handelt es sich denn?« Er biß sich auf die Lippe. Mußte er sie in Verlegenheit bringen?
»Kommen Sie!« sagte sie nur. »Sie werden sehen.«
Sie betraten die Wohnung. Überall Blumen. Geschmackvolle Bilder und Skulpturen. Sie hatte Sinn für Schönheit. Raiger fühlte sich sofort wohl. Das Kind war offensichtlich schon im Bett. Spannung erfaßte ihn.
Die junge Frau nötigte ihn in einen Sessel vor dem Bildschirm! Also doch eine Meldung? Er bedauerte es.
Vorerst ein stehendes Bild: das Dia des Senders für Musik.
»Sie lieben Musik?« fragte er, um ein Gespräch einzuleiten.
»Ich bin Dozentin für Musik, namentlich für klassische.«
»Ich denke, Geologin?« Raiger war überrascht.
»Das auch.«
»Wie wenig wir uns kennen!«
»Das sollte man ändern, finde ich«, gab sie zurück. »In den Monaten, seitdem ich hier wohne, bekam man Sie kaum zu Gesicht. Sie vergrüben sich in Ihre Arbeit, sagt man.«
»Mangels anderer Beschäftigung!« erwiderte er. »Die Arbeit ist ein guter Gefährte, wenn man allein
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