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Heimstrasse 52

Heimstrasse 52

Titel: Heimstrasse 52 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Selim Oezdogan
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gemeinsam auf die Tochter zu blicken. Einen Impuls, den sie unterdrückt. Fuat würde eine unpassende Bemerkung machen und fragen, ob sie den Verstand verloren hat.
    Ihr ist dennoch, als würde ihr Blut wärmer durch ihre Adern fließen. Dank sei dem Herrn für dieses Herz, in dem alle Platz haben.
    Fuat tritt von hinten an Gül heran und sagt leise:
    – Sie werden es mal besser haben als wir.
    Gül atmet den Geruch ihres Mannes ein und nickt. Ja. Ihre Töchter wachsen mit Mutter und Vater auf, nicht wie sie selbst mit einer Stiefmutter. Sie werden es mal besser haben. Wenn Gott erlaubt, werden sie nicht verlassen werden, bis sie auf ihren eigenen Füßen stehen können.
    Nach dem Essen klopft es an der Hintertür, jemand muss durch den Garten gekommen sein.
    – Herein, ruft Fuat, während alle noch am Tisch sitzen.
    Es ist Serter, den die beiden Mädchen verstohlen betrachten, weil sie häufig hören, dass er verrückt ist, ihn aber selten zu Gesicht bekommen. Und wenn sie ihn sehen, tut er nie Dinge, die ihnen verrückt erscheinen.
    |155| Unter den Erwachsenen hat es die Runde gemacht, dass Serter alle vierzehn Tage zu einer deutschen Freudenfrau geht, er ist nicht der Einzige, aber über ihn zerreißen sich alle das Maul. Fuat steht auf, begrüßt Serter, fragt, wie es ihm geht.
    Gesine ist ganz verschüchtert, wenn die Yolcus Besuch bekommen. Sie kann mittlerweile einfach am Tisch sitzen und sich wohl fühlen, auch wenn sie die Gespräche nicht versteht, doch sobald Fremde hinzukommen, fühlt sie sich fehl am Platz.
    – Möchtest du etwas mitessen?, fragt Gül, die schon aufgestanden ist und Richtung Schrank geht, um noch einen Teller zu holen.
    – Nein, nein, sagt Serter, danke, wirklich nicht. Ich mag dein Essen, das weißt du, aber gerade bin ich satt.
    – Einen winzigen Bissen wirst du wohl noch herunterbekommen.
    – Komm, sagt Fuat und legt Serter eine Hand auf die Schulter, komm, ich wollte eh noch mal nach den Hühnern schauen. Wir müssen den Frauen nicht unbedingt dabei zusehen, wie sie den Tisch abräumen.
    – Ich bring dir deine Jacke, es ist kalt draußen, sagt Gül, stellt den Teller zurück und geht Richtung Flur.
    – Lass mal, sagt Fuat, die brauche ich gerade nicht, und geht mit Serter durch die Hintertür, die in einen Gang führt, wo die Toilette ist und die Waschmaschine steht.
    Als Fuat nach zehn Minuten noch nicht zurück ist, murmelt Gül:
    – Er wird sich erkälten.
    – Er hat sich meine Jacke übergeworfen, sagt Ceyda.
    – Schiel nicht so zum Fenster, sagt Gül, da gibt es nichts zu sehen.
    Weitere zwanzig Minuten später ist Fuat wieder in der Küche, Gesine hat sich längst verabschiedet, Gül trocknet Geschirr |156| ab, die Mädchen sitzen im Wohnzimmer und sehen fern.
    – Was hast du ihn so schnell rausgelotst?, fragt Gül.
    – Mein Gott, erwidert Fuat, was kommt dir denn immer in den Sinn? Dass ich wieder Spielschulden habe? Spielschulden sind Ehrenschulden, ich habe nichts zu verbergen. Du bist fast so misstrauisch wie er. Deinem eigenen Mann traust du nicht. Warum hast du ihn so schnell rausgelotst? Weil der Sprung in seiner Schüssel kaum mehr zu kitten ist. Der hat eine Vollmeise. Da sitzen drei junge Frauen, wer weiß, was er alles redet, was sich nicht ziemt, was er für Arm- und Handbewegungen macht, die sich in einem anständigen Haus nicht gehören. Er lebt ja wie ein Junggeselle. Weil ich an unsere Töchter denke, deswegen habe ich ihn rausgelotst. Man kann nie wissen bei einem Verrückten, und verrückt ist er, total. Wer weiß, wen der kennengelernt hat, von allein kommt der nicht auf solche Ideen. Dass wir Angst haben müssten vor den Deutschen, dass die auch nicht besser seien als jedes andere Regime. Der deutsche Geheimdienst hat diese Terroristen im Gefängnis umgebracht, sagt er, sie haben sowieso alle eine Vergangenheit als Nazis, der Rassismus liegt diesen Deutschen im Blut, die werden uns abschlachten wie diese Linken, deswegen müssen wir den bewaffneten Kampf unterstützen. Hättest du gewollt, dass unsere Töchter so etwas hören? Eine Spende wollte er von mir, eine Spende für die Leute im Untergrund. Er habe Verbindungen. Die Linken seien unsere Zukunft in diesem Land. Das ist schon keine Meise mehr, das ist ein ganzer Schwarm Schwalben. Wenn du hundert Tage nur Unsinn redest, würdest du immer noch nicht auf so etwas kommen. Andere sammeln für Moscheen, er sammelt für Terroristen. Das wird nicht gut enden mit diesem Mann, das sage ich dir.
    –

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