Heinichen, Veit - Proteo Laurenti 01 - Gib jedem seinen eigenen Tod
begriffen, daß er Spartaco unterlegen war. Er sah sich mit hastigen Blicken nach einer Waffe um. Wenn er den Bootshaken erreichte, hatte er eine Chance. Er wich langsam zur Seite. Ein Faden Blut lief ihm aus dem Mundwinkel.
»Mach keinen Scheiß, Spartaco«, sagte Kopfersberg leise und wischte sich langsam über den Mund. Er war jetzt fast an der Treppe zum Steuerdeck. »Niemand hat etwas davon!«
»Zu spät, Vater«, Spartaco kam einen Schritt näher. »Du wirst verrecken! Aber hoffe nicht, daß es schnell geht. Du wirst leiden.«
Kopfersberg sprang die Treppe hinauf und riß den Bootshaken aus der Halterung. Mit Schwung drehte er sich um und schlug blitzschnell nach Spartaco. Der Widerhaken zerriß ihm den linken Handrücken, aber Spartaco schien den Schmerz nicht zu spüren. Mit seiner Rechten war es ihm gelungen, den Bootshaken festzuhalten. Er zog ihn ruckartig zu sich. Sein Vater wurde durch die Kraft die Treppe heruntergeschleudert und schlug auf dem Deck auf. Spartaco hieb ihm den Haken über den Rücken und setzte noch einmal nach. Kopfersberg wurde schwarz vor Augen.
Er erwachte erst wieder aus seiner Ohnmacht, als er auf dem Wasser aufschlug. Seine Hände waren gefesselt, er fühlte die Metallschleife um die Handgelenke. Der Rücken schmerzte ihn, und sein Kopf dröhnte. Er sah verschwommen, daß die Ferretti sich langsam entfernte, und spürte plötzlich einen Ruck in seinen Armen. Er wollte schreien, doch er brachte kein Wort heraus. Vor sich sah er die weiße Kielwelle seines Schiffs. Die Schlinge um seine Hände hatte sich weiter zugezogen. Er versuchte das Tau zu greifen, was ihm mit Mühe gelang. Dann probierte er, sich Zentimeter um Zentimeter an die Yacht heranzuziehen, aber die enge Schlinge hatte das Blut in seinen Adern gestaut, und sein Griff war kraftlos. Wenigstens schluckte er kein Wasser, der Zug der Ferretti hob ihn weit genug über die Oberfläche, damit er Luft bekam. Er sah, wie Spartaco den Champagnerkelch hob und etwas rief, was er nicht verstand. Dann sah er, wie Spartaco den Kühler, die Flasche und den Kelch in weitem Bogen über Bord warf und mit einem großen Satz auf sein eigenes Boot sprang. Begleitet vom Gebrüll seiner Motoren, verschwand er mit einem weiten Bogen in der Dunkelheit.
Triest, 22. Juli 1999, ab 19.15 Uhr, Questura
Enrico Fossa war erstaunt, daß der Polizeipräsident ihn zu sich rief. Er hatte wenig mit ihm zu tun, zu viele Sprossen der Hierarchieleiter lagen zwischen ihnen. Bei der Weihnachtsfeier sah er ihn am Stehpult hinter dem Mikrofon und applaudierte wie alle anderen, wenn der Chef die Leistungen seiner Beamten lobte. Sein Vorgänger hatte einst zusätzlich noch eine Neujahrsansprache gehalten. Das war stilvoller gewesen. Doch die Zeit war auch hier, wie überall, knapper geworden. Zu seinem dreißigsten Dienstjubiläum hatte ihm der Questore die Hand geschüttelt. Vor eineinhalb Jahren. Er war zu der Feier gekommen, die Fossa im Büro ausrichtete, und hatte ein paar lobende Worte gesagt. Aber an eine Beförderung war nicht mehr zu denken. Da stand zu viel im Weg. Er hatte weder Abitur noch irgendwelche Zusatzkurse besucht, mit denen er seine mangelnde Schulbildung hätte ausgleichen können. Er war und blieb ein Mann der Praxis. Er war sich für nichts zu schade, scheute sich nie, selbst ins Feld zu gehen, wie er es nannte. Dafür liebten ihn seine Leute. Aber auch die politische Karriere seiner Frau stand ihm im Weg, davon war er überzeugt, und darüber hatten sie sich oft gestritten. Auch er liebte Disziplin und Ordnung, aber Politik war nicht seine Sache.
Vielleicht gab es doch eine Überraschung. Warum hatte der Questore ihn rufen lassen? Seit wann machten die hohen Tiere Überstunden? Wie lange würde es dauern, bis er wieder auf seinem Stuhl sitzen würde? Er wurde gebraucht heute abend. Das Vorzimmer des Chefs war leer, die beiden Computer auf den Tischen der Sekretärinnen waren mit Plastikhauben abgedeckt, alles war penibel aufgeräumt. Er klopfte zaghaft an die Tür zum Allerheiligsten.
Es dauerte, bis er ein »Avanti« hörte. Ein zweites Mal zu klopfen, hätte er sich nicht getraut. Er drückte zaghaft die Türklinke und trat ein.
»Ispettore Fossa, Claudio! Questore!« Er salutierte und schlug die Hacken zusammen.
»Sera, Fossa!« Der Polizeipräsident hatte sich hinter seinem Schreibtisch erhoben und kam auf ihn zu. »Lassen Sie das!« Er gab ihm die Hand zum Gruß, und Fossas Gesichtszüge entspannten sich. »Bitte nehmen
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