Heiss wie der Sommer
ansehen und vermutlich in der einen oder anderen Schublade stöbern. Aber dann würde sie schnellstens zurückkommen, um ja nicht ihre liebste Seifenoper zu verpassen, die sie sich immer auf dem winzigen Fernseher ansah.
Nein, Doreen durfte keine Zeit vergeuden. Sie musste von hier verschwinden.
Ein paar persönliche Dinge hatte sie am Abend zuvor unauffällig aus dem Trailer geschafft und im Kofferraum ihres Wagens unter dem Gerümpel versteckt, das ihr nutzloser Freund schon vor einer Woche zur Müllhalde bringen sollte.
Aber Roy hatte jetzt Geld – zumindest glaubte er das. Und da war es unter seiner Würde, Müll zu kutschieren. Im Geiste hatte er das Geld längst ausgegeben, für ein schickes Wohnmobil, damit er mit seinen billigen Freunden überall, wo sie wollten, Party machen konnte, dazu noch für ein neues Jagdgewehr, für einen Flachbildfernseher und so weiter.
Doreen hätte ihm am liebsten ins Gesicht gelacht. Aber zum einen war das zu riskant, und zum anderen war ihr eher nach Heulen zumute. Was hatte sie nur falsch gemacht? Früher hatte sie knackigen jungen Kerlen wie Tyler Creed beigebracht, wie man eine Frau befriedigte. Und jetzt hatte sie diesen Fettsack Roy am Hals, der ihr sauer verdientes Geld verprasste, ihr das Benzin aus dem Tank klaute und mit Fäusten auf sie losging.
Aber nicht mehr lange! Die Dinge würden sich bald zum Besseren wenden.
Beim Gedanken an das, was sie vorhatte, besserte sich ihre Laune gleich wieder. Der gute alte Roy würde ganz schön dumm aus der Wäsche schauen! Fast wünschte sie, sie könnte seinen Gesichtsausdruck sehen, wenn ihm klar wurde, dass er doch nicht das große Los gezogen hatte, dass er gelinkt worden war. Was er mehr verdiente als jeder andere.
Langsam ging Doreen rückwärts aus dem winzigen, vollgestopften Schlafzimmer am Ende von Grannys Trailer. Dort roch es immer nach schmutziger Wäsche, Bier und Schweiß – ganz gleich, wie oft sie Raumspray benutzte.
Alles hing davon ab, dass sie nach draußen kam, ohne ein Geräusch zu machen.
Als sie auf einmal in dem schmalen Durchgang gegen jemanden stieß, hätte sie am liebsten geschrien. Sie sah über die Schulter. Die alte Frau war schon zurück.
Rasch legte Doreen einen Finger an die Lippen und machte leise: „Schhh.“
„Was hast du denn vor?“, wollte Granny wissen. Eigentlich hieß sie Stella, aber Doreen nannte sie Granny, so wie Roy; sie wusste, dass Stella sich schwarz darüber ärgerte. Stella mit ihrem armseligen Trailer und dem noch armseligeren Sozialhilfescheck hielt sich für was Besseres als Doreen und auch Davie.
Doreen und Roy hatten ihr nichts von Tylers Scheck gesagt, und das war auch gut so. Die alte Schachtel war von Natur aus misstrauisch. Im Moment tat sie so, als hätte sie Doreen dabei erwischt, wie die einen ihrer ach so wertvollen Wandteller mitgehen lassen wollte.
Jeden Monat kam mit der Post ein neuer Teller, der irgendeinen berühmten Toten zeigte, von Lady Diana bis Frank Sinatra. Wenn Stella ein paar Dollar im Bingo gewann – oder wenn es ihr gelang, Doreen und Roy genug Geld abzuschwatzen –, bevor die 30-Tage-Rückgabefrist für den Teller abgelaufen war, dann fand sie irgendwo Platz für das neueste dieser „Kunstwerke“.
Wie ihr das jedes Mal gelang, war Doreen ein Rätsel.
„Ich habe gar nichts vor“, flüsterte sie ihr zu und fasste Stella am Ellbogen, um sie durch den schmalen Flur von Roy wegzudirigieren. Wenn der zu früh aus seinem Rausch erwachte, würde das ihren Plan zunichte machen, und sie würde im Krankenhaus landen. „Und sei bitte leise, ja? Roy hat seit heute einen Job im Sägewerk. Er arbeitet in Wechselschicht, und er muss so viel Schlaf bekommen wie möglich.“
Stella freute sich so sehr über die Aussicht auf mehr Geld, selbst wenn es nicht ihres war, dass Doreen fast schon Mitleid mit ihr bekam, dass sie ihr eine so dreiste Lüge auftischte. Sie war jetzt sicher der festen Überzeugung, jeden neuen Sammelteller behalten zu können, ob die Bingo-Götter ihr nun gnädig waren oder nicht.
„Ist das wahr?“, fragte sie freudig und klang fast wie ein kleines Mädchen. „Ich habe Roy
immer wieder
gesagt, er soll sich da doch mal bewerben! Sein Daddy
und
dein Granddaddy haben beide da gearbeitet, bis sie tot umfielen. Okay, wir haben eine Weile woanders gelebt, Roy und ich meine ich, aber der Name Fifer ist den Leuten hier immer noch ein Begriff.“ Vor Begeisterung hätte sie fast in die Hände geklatscht. „Ich hätte
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