Heiss wie der Sommer
war.“ Er musste sich räuspern und blinzelte ein paarmal. „Tut mir leid, Tyler. Oh Gott, hätte ich doch bloß jemandem von dem Mann erzählt, mit dem Angie getanzt hat! Hätte ich Cassie oder Floyd Book davon erzählt, dann …“
„Du meinst, dann wäre Jake nicht zu dem Motel gefahren? Und er hätte Mom nicht gezwungen, die Tabletten zu schlucken?“, fragte Tyler leise, als sein Bruder in tiefes Schweigen versunken war. „Das hättest du nicht verhindern können. Du warst noch ein Kind, Logan.“
Er nickte, dann startete er den Motor und gab Gas. Der Friedhof fiel hinter ihnen zurück, aber Tyler fragte nicht, wohin sie fuhren. Als sie schließlich vor dem Hauptgebäude der Ranch anhielten, war das für ihn keine Überraschung.
„Die Menschen, die vor uns hier lebten, waren nicht so wie Jake“, sagte Logan, nachdem er angehalten und das Haus eine Weile betrachtet hatte. „Ich habe ihre Briefe gelesen, auch alte Zeitungsausschnitte und ein paar Tagebücher. Ich will damit sagen, dass es kein Fluch sein muss, ein Creed zu sein. Dylan, du und ich, wir können so sein wie die meisten dieser Menschen – gute, ehrliche Menschen, die sich nicht vor harter Arbeit scheuen. Menschen, die stolz sind auf den Namen Creed.“
In dem Moment tat Tyler etwas, was er selbst nie für möglich gehalten hätte. Er streckte den Arm aus und klopfte Logan auf die Schulter. „Wie die meisten dieser Menschen?“, scherzte er.
Logan lächelte. Stille Freude und Erleichterung hatten sich über die beiden Brüder gelegt. „Jeder hat ein paar schwarze Schafe in seinem Stammbaum“, erwiderte er schließlich.
Zu einem Lachen konnte sich Tyler nicht durchringen, aber es reichte für ein Grinsen, als er nickte. „Und was nun? Jake ist tot, meine Mutter ist noch viel länger tot. Selbst wenn wir beweisen könnten, dass er sie gezwungen hat, Tabletten zu schlucken – was würde sich dadurch ändern?“
„Vielleicht nichts“, sagte Logan und stieg aus. Sein eigener Truck war drüben am Stall geparkt; er hatte offenbar vorgehabt, zu Fuß bis zur Hütte am See zu gehen. „Vielleicht alles.“
Vielleicht nichts, vielleicht alles.
Nach Tylers Ansicht konnte man es nicht besser zusammenfassen.
Jake konnte für sein Verbrechen nicht mehr zum Tode verurteilt werden, weil seine Knochen seit Jahren in seinem Grab verrotteten. Aber das Andenken an Angie zählte. Und genauso zählte, dass alle anderen Creeds das Beste aus ihrem Leben gemacht hatten.
„Willst du mit reinkommen?“, fragte Logan. „Briana wird bestimmt schon mit den Vorbereitungen für das Frühstück begonnen haben.“
Tyler schüttelte den Kopf. Er fühlte sich noch nicht dazu bereit, dieses Haus zu betreten, schon gar nicht jetzt, nachdem er erfahren hatte, was dort noch alles vorgefallen war. Allerdings wusste er auch, dass Logan und Briana vieles verändert hatten – nicht nur durch die Renovierungsarbeiten, sondern auch dadurch, dass mit ihnen die Liebe in das Haus zurückgekehrt war. „Aber ich würde mir gern diese Briefe ansehen.“
Nach kurzem Zögern nickte Logan. „Ich hole sie.“
Wenige Minuten später kehrte er mit einem dünnen Stapel vergilbter Umschläge zurück, die mit einem ausgebleichten Gummiring zusammengehalten wurden.
„Willst du sie wirklich lesen?“, fragte Logan. „Du weißt, was du wissen musst. Deine Mutter hat dich nicht im Stich lassen wollen. Was den Rest angeht … na ja … Manche Dinge sollte man besser auf sich beruhen lassen.“
„Doch, ich will sie lesen. Aber es wäre mir lieb, wenn Davie noch eine Weile bei euch bleiben könnte.“ Er ging davon aus, dass diese Lektüre zu einem emotionalen Seiltanz werden würde, und dabei wollte er lieber allein sein.
„Ich kann ihn später bei dir absetzen“, schlug Logan vor. „Ruf mich einfach an, wenn du so weit bist.“
Er betrachtete die Briefe und bekam keinen Ton heraus. Er konnte nicht mal seinem Bruder in die Augen sehen. „Danke“, flüsterte er schließlich.
„Wofür?“
„Dafür, dass du damals nicht aufgegeben hast.“
„Ich bin ein Creed“, lächelte Logan. „Ich weiß gar nicht, wie man aufgibt.“
14. KAPITEL
L ily war noch keine fünf Minuten zu Hause, da kam Tess verschlafen in die Küche geschlichen.
„Du trägst ja immer noch dein rotes Kleid“, stellte sie sofort fest. „Bist du damit schlafen gegangen?“
Während sie den Kaffee aufsetzte, überlegte Lily hastig, welche logische Erklärung sie liefern konnte. Sie wollte weder ihre
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