Heiß wie der Wuestenwind
betrachtet?"
„Allerdings. Sie schreibt, sie habe mit dem Gedanken gespielt, sich als Mann zu verkleiden, um einem Schicksal zu entgehen, das andere ihr aufdrücken wollten. Doch sie kam gar nicht in Indien an.
Unmittelbar vor der Küste des Königreichs Barakat wurde das Schiff von Piraten überfallen. Sie ging über Bord. Eine umhertreibende Planke rettete sie. Rose schaffte es bis zur Küste und wurde sofort von einem Nomaden aufgegriffen. Aber sie setzte ihm einen so erbitterten Widerstand entgegen, dass sie ihm unheimlich wurde. Er bekam Angst, sie könne vielleicht ein Dschinn sein. Du weißt schon, diese Geister, die der arabischen Mythologie nach aus Feuer gemacht wurden, im Gegensatz zu den Menschen, die aus Erde gemacht wurden, und die ihnen gefähr lich werden können. Der Mann beschloss also, sie dem König anzubieten, anstatt sie zu seiner Frau zu machen."
Jafar nahm sich einen weiteren Bissen. „Ein Dschinn", sagte er kauend und schaute Lisbet nachdenklich an. „Daran habe ich noch gar nicht gedacht."
Lisbet beachtete seine Bemerkung nicht. „Er brachte Rose also zum Palast und überbrachte sie dem König als Geschenk. Sie landete im Harem. Rose hatte es immer gehasst, in irgendeiner Weise eingeschränkt zu sein. Ihren Memoiren zufolge war das Leben im Harem ,fast so beschränkt' wie das im Viktorianischen England, wenn auch nicht ganz", erzählte sie schmunzelnd.
Bevor sie weiterredete, beugte sie sich vor, nahm sich noch ein Stückchen von dem frisch gebackenen Fladenbrot, setzte einen Würfel Ziegenkäse darauf, krönte das Ganze mit frischen Kräutern und schob es sich in den Mund.
„Sie war so gelangweilt, dass sie ziemlich perfekt Arabisch lernte - nur durch Zuhören. Sie hatte schon in Englang mühelos Deutsch und Französisch gelernt. Die meisten Frauen im Harem waren ganz einfache Menschen, aber ein paar von ihnen waren sehr gebildet, und es waren auch Ausländerinnen dabei wie sie. Sie verbündete sich mit ihnen. Und mit der Zeit begannen diese Frauen, einen Fluchtplan auszuhecken."
Jafar hob die Brauen. „Wohin wollten sie denn fliehen?"
„Sie bestachen einen der Eunuchen. Dieser brachte all ihren Schmuck und alles, was sie sonst an Wertvollem besaßen, zum Markt und verkaufte es. Mit dem Erlös wollten sie ein Boot kaufen und einen Kapitän anheuern. Sie wollten ihr Glück versuchen und irgendwohin segeln."
„Sehr mutig", warf Jafar ein.
„Doch mitten in diesen Vorbereitungen geschah etwas. Nachdem sie schon zwei Jahre im Harem gelebt hatte, erinnerte sich der König plötzlich an das Geschenk des Nomaden und ließ Rose zu sich kommen."
Jafar sah sie viel sagend an. „Welch glücklicher König, der über solche Macht verfügt", murmelte er.
Lisbet musste kurz die Augen schließen, um sich ganz auf die Geschichte zu konzentrieren. „Rose schreibt nicht viel darüber, doch sie deutet an, dass sie von den Eunuchen bestimmte Techniken gelernt habe. ,Ich nahm mir Königin Esther zum Vorbild', schrieb sie für ihr viktorianisches Publikum.
Du weißt vielleicht, dass Esther von den Eunuchen Dinge lernte, mit denen sie Ahasver, den König der Perser, beeindruckte, als sie schließlich an sein Bett befohlen wurde."
„Davon habe ich noch nie etwas gehört."
„Es steht in der Bibel", erklärte Lisbet. „In den Geschichtsbüchern erscheint Ahasverus unter dem Namen Xerxes. Nun, was auch immer Rose in jener Nacht und in den folgenden Nächten tat, der König verliebte sich in sie, ja, er verfiel ihr regelrecht."
„Aber natürlich."
Lisbet presste die Lippen aufeinander. „Willst du die Geschichte nun hören oder nicht?"
Jafar hob unschuldig die Brauen. „Was mache ich falsch?"
„Schon gut. Unterbrich mich einfach nicht so oft, okay?"
Er sagte nichts, aber da war ein gewisses Funkeln in seinen Augen. Lisbet schüttelte den Kopf und nahm sich noch etwas von den Vorspeisen.
„Auf einmal fand sich Rose als des Königs Lie blingsfrau wieder. Das Haremsleben änderte sich für sie drastisch. Plötzlich hatte sie Macht. Sie bekam eigene Räume innerhalb des Harems. Sie gebar dem König einen Sohn und bekam noch mehr Privile gien. Sie bekam Geschenke von Leuten, die sich von ihr Fürsprache beim König erhofften. Das alles war natürlich ein großer Vorteil für die verbündeten Frauen, denn jetzt würden sie ihren Fluchtplan viel früher verwirklichen können. Doch kurz bevor es so weit war, wurde es Rose klar, dass sie dort, wo sie war, glücklicher war als je zuvor in
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