Heiß wie der Wuestenwind
gegrilltem Huhn, Lachs oder Lamm, winzige Kelche aus Nudelteig mit einer köstlichen Füllung aus Gemüse und Gewürzen, wahre Kunstwerke aus geschnitztem rohem Gemüse, kleine Teigtaschen mit einer herrlichen Füllung aus Kräutern und Käse, winzige, mundgerechte Portionen aus Bulgur und Gemüse, auf Salatherzen angerichtet; Kebabs, die nur aus einem Bissen gewürztem Lammfleisch bestanden, gefüllte Pilze, gefüllte Wein blätter, und über allem lag der Duft von Cumin, Koriander, Kar-damom und Zimt.
Anstelle von Wein wurde eine reichhaltige Auswahl von Säften und köstlichen Joghurtcocktails geboten, die Lisbet nie zuvor getrunken hatte.
All das wurde in einer endlosen Prozession von Jungen und Mädchen auf riesigen Tabletts dargereicht. Sie schienen alle sehr stolz darauf zu sein, dass man sie für diese Arbeit ausgewählt hatte.
Überall saßen kleine Musikkapellen in den Pavillons, unter Bogengängen und bei den Wasserspielen, und die weiche Nachtluft war erfüllt von den Klängen der Musik und dem Plätschern des Wassers.
Niemals würde Lisbet diese Nacht vergessen.
Jafar trug das traditionelle Gewand der Tafelgefährten: die weit fallende Shalwar unter einem hochgeschlossenen Jackett aus Seide und den mit Edelsteinen besetzten Gürtel mit der ebenfalls mit Edelsteinen besetzten Scheide für den Krummsäbel. Eine doppelte Kette aus dicken Perlen verlief schräg von einer Schulter bis zur Mitte der Brust, wo sie von einer großen, mit Juwelen besetzten Nadel gehalten wurde. Die Farbe seines Jacketts war indigoblau.
Lisbet sagte ihm unumwunden, in ihren Augen habe er noch nie so atemberaubend gut ausgesehen.
Jafar erwiderte ihr Kompliment. Die Feindseligkeit vom Mor gen und vom Abend zuvor war vergessen. Gemeinsam genossen sie diesen Abend in dem Bewusstsein, dass sie ihn niemals vergessen würden, was auch immer aus ihrer Beziehung werden mochte.
Ein Junge mit einem Tablett voller Leckereien blieb bei ihnen stehen. Jafar beugte sich über das Tablett. „Was empfiehlst du uns, Afif?" fragte er ihn auf Englisch.
Sofort deutete der Junge auf die linke Hälfte des Tabletts. „Bitte nimm von dem Lachs, Cousin", sagte er.
„Vom Lachs?" Gehorsam nahm Jafar einen der winzigen Bis sen. „Sehr delikat", stimmte er zu.
„Sind die anderen Häppchen nicht so gut? Immerhin ist doch einiges davon gegessen worden."
„Die andern Häppchen sind delikate Hähnchenbrüstchen, und die Leute mögen sie so sehr, dass das Tablett auf einer Seite zu leicht wird. Deshalb habe ich dich gebeten, etwas von der anderen Seite auszuwählen", erklärte der Junge mit ernsthafter Miene.
Lachend nahmen sie sich von dem Lachs, bevor der Junge weiterging.
„Warum hat er dich Cousin genannt?" fragte Lisbet.
„Weil wir tatsächlich Cousins sind", erwiderte Jafar lächelnd. „All die Jungen und Mädchen, die hier die Gäste bedienen, stammen aus der königlichen Familie oder aus den Familien der Tafelgefährten.
Das war schon immer so."
„Und werden die Jungen eines Tages auch alle Tafelgefährten sein?"
„Manche bestimmt."
„Hast du das als Junge auch gemacht?"
„Ja, und eines Tages, insha'Allah, werden meine Söhne und Töchter es ebenso tun. Für die, die in die Oberschicht hineingeboren werden, ist es besonders wichtig, früh zu lernen, dass es nicht nur eine Pflicht ist, zu dienen, sondern auch ein Privileg."
Lisbet konnte nichts sagen, so erfüllt war sie von einer namenlosen Sehnsucht. Sie hatte ihre Chance vertan, einmal ein Teil von all dem hier sein zu können. Annas Kind würde wohl eines Tages auch hier lernen, dass herrschen immer auch bedeutete zu dienen, und mit Sicherheit Jafars Kind. Sie stellte sich Jafar als Vater vor, und das Herz brach ihr fast.
Für uns ist es zu spät, Lisbet...
Vielleicht zum ersten Mal in ihrem Leben erkannte Lisbet, dass das menschliche Leben mehr war als nur das Streben Einzelner nach Glück. Es war ein fortlaufendes Geben und Nehmen von einer Generation zur anderen. Vor langer Zeit hatte sie beschlos
sen, sich von diesem Prozess
auszuschließen. Kindheit war ihr als ein Ort des Leidens erschienen, nicht als etwas, das sie anderen bereiten wollte.
Aber selbst ihre eigene Kindheit war nicht nur Leiden gewesen. Da war schließlich noch die Verbundenheit mit ihren Geschwistern und mit ihrer Mutter. Diese Verbundenheit hatte ih nen allen durch schwere Zeiten hindurch geholfen.
Sie hatte wohl von all ihren Geschwistern den Zusammenbruch ihres Vaters am schlechtesten
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