Heißer Winter in Texas
Richtung
Speisekammer, als ich bemerkte, daß irgend etwas ganz
und gar nicht stimmte. Ich hatte Licht im Wohnzimmer
brennen lassen, und jetzt war es aus, und ich konnte
Zigarrenrauch riechen. Meine Pumpe schlug wie die
Trommeln einer afrikanischen Fruchtbarkeitszeremonie.
Ich versuchte mich zu beruhigen, meinen Herzschlag zu
verlangsamen, und atmete vorsichtig durch den Mund
ein. Ich kniff meine Augen zusammen, um sie schneller
an die Dunkelheit zu gewöhnen.
In diesem Moment berührte etwas mein Bein. Für
einen
Augenblick
durchzuckte
mich
die
Horrorvorstellung, daß sich ein verstümmeltes
Höllenmonster mit blutigen Klauen über meine Wade
hermachen würde, und ich konnte nicht nach unten
schauen. Doch es war nur Anice, die froh war mich zu
sehen und auf den Hinterbeinen tanzte, damit ich sie
hochnahm. Ich griff sie mir und legte die Hand über
ihre Schnauze, damit sie nicht plapperte. Es war zu
erwarten, daß sie zwar den Eindringling nicht einmal
53
angebellt hatte, bei meinem Anblick aber ein großes
Gejaule anstimmen würde. Sie warf den Kopf zurück,
und die Anhänger an ihrem Halsband klapperten. In
meinen Ohren klang es wie die Fabriksirene zur
Mittagspause. Mir wurde so schwindlig, daß ich dachte,
ich könne mich nur noch hinlegen und darauf warten,
von den Engeln gen Himmel getragen zu werden.
Direkt gegenüber, in meinem Arbeitszimmer,
flüsterte eine Stimme: »Was war das für ein Geräusch?«
»Das war sicher die Töle. Mach dir keine Sorgen.
Wenn die Dame nach Hause kommt, haste ja deinen
Schießprügel, oder nich‹? Mußt‹n halt benutzen.« Die
Stimme, die antwortete, war so heiser, daß sie fast wie
Froschquaken klang.
»Laß uns Leine ziehen, Tully«, sagte die erste Stimme
nervös. »Das sollte doch nur‹n gewöhnlicher Bruch sein.
Von Killen hat mir niemand was gesagt – und schon gar
keine Dame.«
»Heilige Scheiße, was‹n feiges Huhn. Okay, wenn
du‹s hast, machen wir halt die Fliege«, krächzte die
zweite Stimme. Sie klang wie eine stumpfe Säge, die
eine Eichenplanke zerteilen sollte.
Ich war schweißnaß vor Angst. Lieber Gott, bitte laß
sie durch die Vordertür rausgehen. Ich sah mich schnell
nach einer Waffe oder einem Versteck um. Ich fühlte
mich wie ein in Gips gelegter Tausendfüßler. Da war
54
nichts – das hatte ich bereits gewußt, bevor ich mich
umgesehen hatte. Lieber Gott, bring mich hier lebend
raus, und ich versprech‹ dir, ich tu‹ irgend etwas für
dich. Ich weiß im Moment noch nicht, was es sein wird,
aber bestimmt etwas Großartiges. Ich warf einen
sehnsüchtigen Blick zur Hintertür, aber ich wagte mich
nicht zu rühren. Ich drückte Anice fest an mich. Diese
verdammte Hündin brauchte eine Diät, sie wog
mindestens eine Tonne.
»Sehn wir uns nochmal um – vielleicht gibt‹s noch
was, was wir brauchen können«, raspelte Tully.
Stromstöße schossen durch meinen Körper. Ich
konnte mich nicht entscheiden, ob ich einen
verzweifelten Sprung quer durch die Küche nach dem
Fleischmesser
machen
oder
bewegungslos
stehenbleiben sollte.
Ich hörte Schritte auf die Küche zukommen.
»Verdammt, Tully, ich piß‹ mich gleich voll. Wir
ha‹m, was wir wollten. Nix wie weg hier.« Die erste
Stimme wurde schrill. Ich hoffte, sie verschwanden
endlich – der Gedanke an Einbrecherpisse auf meinem
Arbeitszimmerteppich beglückte mich auch nicht
sonderlich.
»Ja, in Ordnung, verdammt!« knurrte Tully.
Ihre Schritte entfernten sich Richtung Wohnzimmer,
und dann fiel die Vordertür ins Schloß.
55
Ich wartete so lange, bis alle Feuer der Hölle zu
Eiszapfen gefroren waren. Dann atmete ich aus.
Schließlich kriegte ich meine Beine dazu, sich in
Bewegung zu setzen, und ging durch den Flur ins
Schlafzimmer, um meinen Revolver aus der Kommode
zu holen. Es war ein kleiner 38er Colt. Selten hatte ich
etwas so Tröstliches in der Hand gehabt wie jetzt diese
Waffe. Ich setzte Anice wieder auf den Boden und
begann, das Haus vom Badezimmer bis zur
Abstellkammer zu durchsuchen. Ich sah auch unter dem
Bett nach sowie an allen anderen Orten, an denen sich
jemand verstecken konnte. Als ich mich versichert hatte,
daß wirklich niemand mehr da war, schloß ich die
Vordertür ab und knipste das Licht an. Mein Herz raste
immer noch.
Dann stand ich mitten im Wohnzimmer, den
Revolver drohend auf mögliche Einbrecher gerichtet,
und knurrte: »Okay, ihr Schmeißfliegen, jetzt kommt.
Ich bin
Weitere Kostenlose Bücher