Heißer Winter in Texas
bereit.«
Aber natürlich kam niemand.
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Die nächsten zwei Stunden verbrachte ich damit, in den
Schubladen meines Schreibtisches nach womöglich
fehlenden Dingen zu suchen. Ich hatte keine Ahnung, in
wessen Lohn und Brot die beiden Gauner standen, die
da was aus meinem Haus hatten stehlen sollen. Es
schien auch nichts zu fehlen. Sorgsam sah ich alle Akten
durch – aber auch meine Aufzeichnungen zu Themen,
an denen ich noch arbeiten wollte, waren komplett.
Ich schob meinen Stuhl zurück und rieb mir die
Augen, die vor Müdigkeit nur noch verschwommen
sahen. Ratlos stierte ich das Allerlei auf meinem
Schreibtisch an – Bücher, Stifte, Lampe –, alles war an
seinem Platz. Einen Moment lang überließ ich mich dem
zunehmenden Kopfweh und sank vornüber auf die
Tischplatte. Denk nach, los, denk nach! Ich setzte mich
auf und massierte mir die Schläfen. Schließlich ging ich
ins Bad, nahm ein Aspirin und zog mit Anice auf einen
Spaziergang. Wir schlichen uns in Mrs. Dantzlers Hof,
verrichteten unsere Übeltat und huschten wieder heim.
Zu erschöpft, um noch klar denken zu können, ging
ich eben schlafen. Anice machte sich die ganze Nacht
rücksichtslos breit und ignorierte meine Eingabe, daß
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ich in Nächten schwerer Traumatisierung durch
Heimsuchung von Einbrechern mehr Platz brauchte.
(Unerwartete Arbeitslosigkeit, die Begründung der
Nacht zuvor, hatte mir auch keinen Zentimeter mehr
Bett eingebracht.)
Am nächsten Morgen fühlte ich mich dennoch so
weit erholt, daß ich der Frage nachgehen konnte, aus
welchem Grund jemand bei mir einbrach. Ich stellte ein
Inventar der erbärmlich wenigen Tatsachen auf: (1) Sie
waren hinter etwas Bestimmtem hergewesen und
hatten es bekommen. (2) Sie hatten meine
Aufzeichnungen zu abgeschlossenen und unfertigen
Reportagen durchwühlt, aber nichts mitgenommen. (3)
Möglicherweise hatten sie gewußt, daß ich zur Zeit des
Einbruchs abwesend sein würde. (4) Vielleicht hatten sie
aber nur meine Wohnung beobachtet und meinen
Aufbruch abgewartet. (5) Einer hieß Tully, und seine
Stimme klang wie das Quaken eines Froschs.
Ich beschloß, dem letzten Hinweis zuerst
nachzugehen. (Jetzt klang ich auch noch wie ein
Schnüffler in einem zweitklassigen Film, als stünden die
Dinge nicht schon schlimm genug.) Ich versuchte, einen
Freund im Polizeipräsidium anzurufen. Joe Mahan
arbeitete im Archiv, und ich hatte diese Bekanntschaft
vor vielen Jahren kultiviert, als ich bei der Times anfing
und er gerade vom Streifenpolizisten zum Sergeant im
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Innendienst befördert worden war. Er war kräftig
gebaut und eine Spur unter Durchschnittsgröße, aber
keinesfalls ein kleiner Mann. Er war freundlich zu mir
und nicht sehr schlau. Wenn er mit Frauen sprach,
verschränkte er seine Hände meist in einer
besänftigenden Geste vor der Brust. Er pflegte lächelnd
zu nicken, wenn er anderen zuhörte, ganz gleich, ob er
das Gesagte begriff oder nicht. Er war allerdings auch
keiner von den Sanften. Er hatte seinen Teil Betrunkene
mit Handschellen an Feuerhydranten gekettet, Zuhälter
in dunklen Gassen zusammengeschlagen und mit den
anderen Polypen im Blue Bonnet Café in der
Washington Street darüber Witze gerissen. Seine Frau
verließ ihn mitsamt ihrem kleinen Sohn, als er begann,
Gewalt nicht mehr ernstzunehmen. Er verstand nie,
warum sie gegangen war. Er mochte Frauen, aber
immer wenn er zuviel getrunken hatte, erzählte er mir,
daß alle Frauen davon träumten, Männern einen zu
blasen. Irgendwie war ihm 57 Jahre lang entgangen, daß
ihm das nur passierte, wenn er sich aufraffte, in Susie
Nobles Bordell in der Caroline Street zu gehen und
dafür zu bezahlen. Wie ich bereits anmerkte, war Joe
nicht von der hellsten Sorte.
Den ganzen Tag über versuchte ich ihn zu erreichen,
ohne Erfolg. Gewöhnlich war er tagsüber zu Hause, da
er zur Nachtschicht eingeteilt war. Der Privatanschluß
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von Susie Noble stand nicht im Telefonbuch, und ich
hatte mein Adreßbuch verlegt und konnte nicht
überprüfen, ob er dort war.
Ich
kümmerte
mich
um
liegengebliebene
journalistische Arbeiten und fing einen Artikel an, den
ich gegen gutes Geld in einem Magazin unterbringen
konnte. Ich telefonierte mit Gael und erzählte ihr von
dem Einbruch. Sie und Katherine luden mich ein, die
nächsten paar Tage bei ihnen zu wohnen, aber ich
lehnte ab.
Ich rief abends noch ein paar Mal bei der Polizei an –
aber Joe war nicht zur Arbeit
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