Heißes Blut: Anthologie (German Edition)
Verbindung ihrer Finger in warmen Wellen auf sie überging. Dieses Kribbeln hatte sie vorher schon verspürt, aber jetzt nahm sie es viel stärker wahr. Sie fragte sich, ob er nur versuchte, sie zu beruhigen, und ob das eine seiner Gaben war.
»Wie alt bist du eigentlich?«, wollte sie wissen und blickte zu seinem vom Sternenlicht erhellten Profil auf. Seine Gesichtszüge hätten aus Marmor gemeißelt sein können, so unbewegt und ruhig waren sie. Ihn so zu sehen brachte Mariann zu Bewusstsein, wie viel von seiner Natur ihr bisher verborgen geblieben war.
»Ich wurde um elfhundert herum geboren«, antwortete er. »Anno Domini. Ich war Förster – oder Wildhüter, wie ihr es nennen würdet – auf einem ausgedehnten Besitz in Burgund.« Sein Mund verzog sich spöttisch in dem ansonsten reglosen Gesicht. »Ich war nicht beliebt, da es meine Aufgabe war zu verhindern, dass das hungernde Volk meinem Herrn die Kaninchen klaute, und ich oft zu ziemlich drakonischen Mitteln greifen musste. Eines Tages fing ich einen Wolf, der keiner war, in einer meiner Fallen. Die Zacken der Falle waren aus Eisen, das wir nicht vertragen können, und es hatte ihm seine ganze Upyr- Kraft genommen. Mein Pech, als ich die Falle öffnete, um den vermeintlichen Kadaver herauszunehmen, war, dass der Wolf aufsprang und sich in einen Mann verwandelte. Und da ich mehr Sturheit als Vernunft besaß, kämpfte ich mit ihm … bis fast zu meinem Tod. Doch ich glaube, meine Wildheit beeindruckte meinen Gegner, denn Auriclus beschloss, mich zu verwandeln, statt mich an meinen Verletzungen sterben zu lassen.«
»War das sein Name? Auriclus?«
Bastien riss sich von der Vergangenheit los und erwiderte Marianns Blick. Obwohl sie ihn aufmerksam beobachtete, konnte sie nicht sagen, was er von dem Mann, der ihn verwandelt hatte, hielt. »Ja. Wir haben nicht viele Älteste, aber er ist einer von ihnen. Nur ein Ältester kann einen Menschen in das verwandeln, was wir sind.«
»Dann bist du also auch ein Ältester.«
»Nicht offiziell, doch eigentlich ja.«
Sie wusste, dass seine Antwort nur einen Teil der Geschichte erzählte, denn seine Finger fühlten sich zwischen ihren merklich verkrampfter an. »Könntest du Schwierigkeiten bekommen, weil du mich gerettet hast?«
»Das wäre möglich, aber nicht wahrscheinlich. Viele der Upyrs im Rat sind meine Freunde. Wahrscheinlich muss ich beten, dass sie mir zutrauen zu wissen, was ich tue.«
Ein Ernst, den Mariann nicht verstand, warf einen Schatten auf seine Worte. »Nun«, sagte sie, da sie nicht zu neugierig erscheinen wollte, »dann muss ich wohl ganz besonders dankbar sein, dass du dich nicht an die Regeln gehalten hast.«
Er blieb stehen und wandte sich ihr zu, mit dem Rücken zu der dunklen Straße und seine Hand ganz fest um ihre. Das Glühen, das sie in jener anderen Nacht gesehen hatte, flammte wieder in seinen Augen auf. »Es war meine Entscheidung zu handeln, wie ich gehandelt habe. Ich hätte dich nicht sterben lassen können. Ich liebe dich, Mariann. In all den Jahren meines Lebens habe ich so etwas noch nie empfunden.«
Die Leidenschaft in seiner Stimme verschlug ihr den Atem. Er klang wie ein Kreuzritter vor einer Schlacht. In ebendiesem Moment konnte sie ihn sich sogar sehr gut vor beinahe tausend Jahren vorstellen.
Er liebt mich, dachte sie, als ihr bewusst wurde, dass er die Wahrheit sprach. Doch ihre Freude über seine Liebeserklärung und ihr Bedürfnis, ihm zu glauben, ließen auch ein Misstrauen in ihr erwachen, bei dem sich ihr die Nackenhaare sträubten. Wer verliebte sich so schnell? Und dazu auch noch in sie?
»Das … ist … sehr schmeichelhaft«, erwiderte sie stockend, weil ihr die Luft zum Atmen fehlte. »Angesichts dessen, wie lange du schon auf dieser Welt bist.«
Sie bemerkte nicht, wie sein Ausdruck sich veränderte, doch von einem Moment auf den anderen sah er traurig aus. Er hob die rechte Hand, um eine Locke zurückzustreichen, die der Wind ihr über die Wange geweht hatte. »Meine Worte waren nicht als Schmeichelei gedacht.«
»Bastien«, sagte sie leise.
Vielleicht spürte er, dass sie ihn warnen wollte, sie nicht zu sehr zu bedrängen. Sie konnte ihm noch nicht das Vertrauen schenken, das eine gute Beziehung erforderte. Falls es das war, was er erwartete, wollte er es nicht hören, denn er deutete auf die Kreuzung, die den Rand der Stadt bezeichnete.
»Wir sollten uns beeilen«, meinte er. »Heather wird sich schon Sorgen machen.«
Einige Upyrs wurden mit dem
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