Heldensabbat
Hexe aussieht und sich wie eine Fee benimmt, weist ihnen zwei nebeneinanderliegende Zimmer mit einer Verbindungstüre an.
»Woher hast du diese Adresse?« fragt Faber.
»Meine Cousine war hier auf ihrer Hochzeitsreise«, entgegnet Sibylle lächelnd. »Sie ist uns mit gutem Beispiel vorangegangen.«
Hand in Hand gehen sie an den Strand und zum Entsetzen der Italiener auch noch ins Meer.
»Neunzehn Grad«, behauptet Sibylle.
»Höchstens sechzehn«, erwidert ihr Begleiter, »aber eine Abkühlung kann nicht schaden.«
Sie spritzen sich an, dann schwimmen sie weit hinaus, Seite an Seite, bis zur kleinen Felseninsel Bergeggi. Das Salz brennt auf ihrer Haut, aber noch stärker brennt das Glück. Sie kommen zurück. Sie sind die letzten am Strand, trinken Kaffee und Aperitif durcheinander. Sie wollen alles auf einmal haben, als müßten sie sich beeilen, den nunmehr bleiben ihnen nur noch zwölf Tage.
Zum Abendessen fahren sie in das benachbarte Fischernest Noli und trainieren in der kleinen Trattoria Spagettiessen. Hans Faber wickelt sie geschickt wie ein Neapolitaner um die Gabel, und Sibylle ist seine gelehrige Schülerin. Dann kommt der Mann mit der Gitarre und zupft ihnen Schlummerschmalz ins Ohr: Amore – desiderio – sole – baci – moriré – vivere – immer wieder amore. In seinem Weltbeglückungstrieb lädt Faber die umsitzenden Italiener zum Mittrinken ein.
Sie lassen sich nichts schenken und kommen mit Käsewürfeln im Papier und einer Pizza an. Ihre Augen glänzen noch dunkler als der Barbera im Glas. Sie verbrüdern sich miteinander. Es ist nicht die Achse Berlin – Rom; es ist die Schiene Mensch zu Mensch.
»Accarezzami«, intoniert die Gitarre, und alle singen mit.
»Was heißt das?« fragt Sibylle.
»Streichle mich«, erwidert Faber.
»Das tust du ja auch.«
»Das werde ich immer tun«, verspricht der Mann.
»Und wie lange ist bei dir immer?«
»Solang ich lebe –«
»So kurz nur«, erwidert Sibylle wie enttäuscht.
Einer der Zecher stößt an das Mussolinibild; es fällt zu Boden. Der Wirt flucht, die Zuschauer lachen.
»Weißt du«, ein Pädagoge kann das Dozieren auch in den Ferien nicht ganz lassen, »der Duce ist zehn Jahre länger an der Macht als der Führer, aber die Schwarzhemden haben im Süden nie den Einfluß der Braunhemden im Norden erreicht. Ich will den Faschismus nicht verharmlosen, aber er ist weniger Weltanschauung als militante Folklore, eine Gemisch aus Politrausch und Heldengebärde.«
»Sie sagen es, Herr Professor«, weist ihn Sibylle lachend zurecht.
Erst nach Mitternacht nimmt der Wirt dem Lautenspieler das Instrument aus der Hand und schiebt die protestierenden Gäste höflich, doch energisch aus dem Raum. Vom Meer her weht eine frische Brise. Sibylle fröstelt. Faber legt den Arm um sie. Vom Zentrum des Spotornos aus haben sie noch fünf Minuten zur kleinen Pension am Fuße des Kastells zu gehen. Sie geraten dabei außer Atem, doch es liegt weniger an der Steigung als an der Erregung, die sie aufeinander zutreibt.
Sie stehen vor Sibylles Zimmer, als fiele ihnen der Abschied, der keiner ist, schwer. Dann geht jeder in seinen Raum, stellt sich rasch unter die Dusche. Die Verbindungstür steht offen, doch Hans Faber fragt sich, ob er den Rubikon unaufgefordert überschreiten dürfe.
Auf einmal steht Sibylle in der Tür. »Julia läßt bitten, Romeo«, sagt sie.
Als Faber sie sieht, ihre zärtliche Figur, von einem durchsichtigen kurzen Nachthemd kaum verhüllt, ihr hinreißendes Lächeln, ihre aggressive Jugendlichkeit, hört er die Nachtigall und auch die Lerche.
»Komm«, sagt er, hebt sie auf die Arme und trägt sie über die Schwelle.
Unter den frommen Mainbachern herrscht der Brauch, die Osterbeichte in der Karmeliterkirche abzulegen. Großväter und Enkel, Mütter und Töchter, Väter und Söhne tragen ihre Sünden den steilen Kaulberg hoch, vorbei an der Oberen Pfarrkirche, Mainbachs schönstem gotischen Sakralmonument. Bevor sie weiterziehen, werfen sie noch einen Blick auf die Brautpforte mit den Figuren der klugen und törichten Jungfrauen. Hundert ansteigende Meter noch, dann empfängt sie das frühere Kloster St. Theodor mit der barocken Dientzenhofer-Fassade und dem einmalig schönen Kreuzgang.
In Mainbach ist auch die Frömmigkeit barock und rustikal. Wenn ein Sohn in der Schule nicht weiterkommt, eine Tochter den falschen Umgang hat oder eine Krankheit nicht heilen will, dann kniet man bei den Karmelitern und opfert eine
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