Heldensabbat
bei ihr und dann selbstverständlich auch ›bei Herrn Gustav Bertram‹.
Sibylle hat den längeren Text, aber ihre Feder gleitet über das Papier wie eine Eiskunstläuferin über die glitzernde Fläche.
»Willst du es lesen?« fragt sie dann.
»Abgemacht ist abgemacht«, entgegnet der Freund.
»Du könntest es aber trotzdem –«
»Willst du meinen Teil lesen?«
»Ich schon«, erwidert Sibylle, überfliegt Fabers Text und umarmt ihn dann stürmisch.
Die beiden lassen sich vom Füllhorn eines jeden Tages überschütten, schwimmen, küssen und lachen, haben sich, so oft sie wollen, und können doch das Verlangen aufeinander nicht dämpfen. Jeden Abend sitzen sie unter ihren neuen italienischen Freunden in der Trattoria, haben Rotwein im Blut, Gefühle im Herzen und Amore in den Ohren, bis ihnen die Augen tränen vor Glück und Trunkenheit.
Jeden Tag, doch jeder Tag kostet vierundzwanzig Stunden.
Gemunkelt wird seit langem. Gerüchte über persönliche Beziehungen innerhalb der Belegschaft sind meistens übertrieben, doch selten auch ganz aus der Luft gegriffen. Vom Portier bis zu den Vorstandsmitgliedern weiß jeder bei der »Bertrag« (Bertram AG), daß der Firmenchef in letzter Zeit weit häufiger in seinem Zweigwerk im Münchener Osten anzutreffen ist als am Stammsitz seines Unternehmens; dabei wünschen seine Münchner Arbeitnehmer den alten Polterer sehnlichst nach Mainbach oder besser noch gleich auf den Mond.
Seit sich herumgesprochen hat, daß ihn die flammendrote Direktionsassistentin Cora Nimmwegh auf seine Reise nach Prag begleitet hat – Bertram ventilierte dort Möglichkeiten, weitere Fertigungsstätten im neuen Protektorat Böhmen und Mähren zu übernehmen –, zweifelt keiner mehr daran, daß dieser erotische Irrwisch über kurz oder lang die Rolle einer Betriebs-Pompadour spielen wird.
Cora ist wieder beim Chef; sie weiß, wo Gott wohnt und daß es in der Direktionsetage hoch oben heller ist als im Parterre. Die Berlinerin ist der Typ, der immer um den Chef herum ist, wobei dieser durchaus austauschbar bleibt. Von seiner letzten Dienstreise an die Spree brachte ein Prokurist die Information mit, daß man bei Siemens die hochbeinige Rothaarige mit den meergrünen Augen nach einer Affäre mit einem der leitenden Männer gefeuert habe, als dessen Frau hinter die Geschichte gekommen sei. Richtig oder falsch: Tatsache ist, daß die junge Frau im Fadenkreuz der Gerüchte mehr als attraktiv ist und dazu noch sinnlich wie eine Katze, eine, deren Aussehen ihr Kapital ist, mit dem sie wuchert.
Nicht erfolglos, denn der dreiundfünfzigjährige Gustav Bertram hechelt hinter ihr her wie der Windhund hinter dem falschen Hasen auf der Rennbahn. Nicht nur er, auch andere. Cora hält sich diese Zusatzverehrer warm, doch sie hält sich nicht weiter mit ihnen auf. Sie ist Spitze, und Männer in mittleren Positionen tragen für sie den Hintern zu tief unten. Sie beherrscht ihre Bewerber wie eine Klaviervirtuosin ihre Tasten, die weißen wie die schwarzen, von vornherein die Männer in zwei Kategorien einteilend: die nützlichen und die unnützen. Da sich Cora Nimmwegh an die Nützlichen hält, kann sie sich zur Erholung gelegentlich auch einen Nutzlosen leisten, und dafür bietet sich eine risikofreie Gelegenheit, wenn sich der Amtierende an hohen Fest- und Feiertagen im Kreise der Familie aufhält.
Cora hat dazugelernt; sie steht im Zenit, sie wird weder schöner noch jünger werden, und der alternde Narr von Betriebsführer ist ihr hörig wie keiner zuvor.
Neunzehn Jahre Altersunterschied verlangen einen hohen Tribut, und Cora ist es leid, mit wechselnden Chefs immer höhere Spesenetats durchzubringen, in Vorzimmern zu kauern und sich die Nägel zu lackieren, teuer zu duften und schnell zu verduften, wenn die Gattin des Firmengewaltigen im Anrücken ist.
Cora sitzt auf Bertrams Schreibtisch, die überlangen Beine übereinandergeschlagen, Beine, die sich sehen lassen können und sich deshalb auch bereitwillig zeigen. Sie hält Block und Bleistift in der Hand, aber das ist nur Staffage, denn mit so langen Fingernägeln kann man nicht stenographieren. Ihre prächtige Mähne ist asymmetrisch geschnitten, schulterlang. Der Ausschnitt ihres Kleides ist für die Stunde zu großzügig, ein tiefer Schacht, in den die Blicke vieler Männer fallen.
»Hast du heute Abend etwas vor, Cora?« fragt der Betriebschef.
»Ja, Gustav«, erwidert sie. »Eine Verabredung.«
»Kannst du nicht absagen?«
»Vielleicht,
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