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Helix

Helix

Titel: Helix Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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doch für die amerikanische Ausgabe konnte kein Verleger gefunden werden. Pech für uns Leser in den USA!
    Nun, im Frühling 2000 konzentrierte ich mich zunächst darauf eine originelle Idee für die Story zu finden. Die Vorgabe der Anthologie war – vermutlich wegen des Jahrtausendwechsels, der in aller Munde war, als das Buchprojekt vorgeschlagen wurde –, dass die Geschichten im Jahr 3001 angesiedelt werden sollten. Jeder, der Science Fiction schreibt, kann Ihnen sagen, dass tausend Jahre eine atemberaubende Zeitspanne sind, der man höchstens mit einer ausgewachsenen Space Opera gerecht werden kann. Stellen Sie sich einen Autor des Jahres 1000 vor, der eine Kurzgeschichte schreiben will, die im Jahr 2001 spielt. Welches wären die gemeinsamen Elemente zwischen seinem Jahrtausend und dem Zeitrahmen der Story? Stellen Sie sich auf der anderen Seite eine zeitgenössische Geschichte im Stil Tom Wolfes vor, in der es um Rassenkonflikte, Konzernintrigen und Techtelmechtel in Manhattan geht …
    Rassenkonflikte? Bedeutungslos für einen Autor des Jahres 1000. Damals existierte nicht einmal der Begriff von Rassen, der uns heute so stark beschäftigt.
    Konzernintrigen? Die Intrigen wären für einen Europäer des Jahres 1000 nachvollziehbar, doch was Konzerne und der moderne Kapitalismus heute bedeuten, konnte damals noch niemand wissen. Es sollte noch 500 Jahre als Todsünde gelten, Geld gegen Zinsen zu verleihen – Wucher wurde das genannt und blieb auf Nicht-Christen (die Juden) beschränkt, die sowieso zur Hölle oder mindestens in die Vorhölle fahren mussten.
    Techtelmechtel? Nun, das wäre im Jahre 1000 nach Christus (und vermutlich auch schon im Jahre 1000 vor Christus) ohne weiteres verständlich gewesen, aber die lüsterne Beschäftigung der heutigen Belletristik mit diesem Thema gab es damals noch nicht.
    Manhattan? Eine nicht existierende Stadt auf einem noch nicht entdeckten Kontinent.
    Was, fragte ich mich, war dann das verbindende Element zwischen 2001 und 3001? Welche ewigen menschlichen Wahrheiten – abgesehen von Sex und Intrigen – werden die schneidenden Winde eines ganzen Jahrtausends überleben?
    Als mir die Antwort einfiel, war ich sofort sicher, dass sie zutraf – und mir wurde beinahe übel.
    Die einzige Konstante zwischen dem Heute und einem Zeitpunkt, der tausend Jahre in der Zukunft liegt, ist die, dass irgendwo jemand planen wird, die Juden umzubringen.
     
    Schnitt zum Sommer 2000. Unmittelbar nach meiner Rückkehr von der Convention in Hawaii – und nachdem ich die Wasserschlacht am vierten Juli verpasst hatte! –, war ich in New Hampshire und nahm als Gastdozent an Jeanne Cavelos Odyssey Writers’ Workshop teil. Es ist ein interessanter Workshop, und die Teilnehmer, die sich im Sommer 2000 eingeschrieben hatten, waren nicht minder interessant: ein Astrophysiker, ein Programmierer, zwei Anwälte, die es mit ehrlicher Arbeit versuchen wollten, einige Leute, die fließend Russisch und Deutsch sprachen und Musikinstrumente beherrschten, ein paar Jüngere, die gerade erst den Collegeabschluss gemacht hatten. Die meisten waren ernsthafte Erwachsene, die in ihren Berufen recht erfolgreich waren und von dem gemeinsamen Wunsch, druckreife Science Fiction zu verfassen, zusammengeführt worden waren. Für eine Woche unterrichtete ich am Morgen und machte mich an den langen, heißen Nachmittagen daran, die Werke der sechzehn Teilnehmer zu begutachten.
    Ich setze mich nicht als Kritiker in einen Kreis von Autoren, ohne ein eigenes Werk zur Kritik anzubieten. Deshalb brachte ich »Der neunte Av« mit. Die Story wurde als letzter Text in der Woche besprochen, und die Wirkung war, als hätte man eine Handgranate in einen Bastelkreis geworfen.
    Die Odyssey-Schreiber nahmen es mit ihrer Analyse schrecklich ernst. Sie suchten im Internet nach dem Hintergrund des Voynich-Manuskripts (ein Thema, das vermutlich interessanter war als meine Story), sie recherchierten über Scotts gescheiterte Antarktis-Expedition und erforschten die Bedeutung des Namens »Moira«, ja, ein Teilnehmer führte sogar mithilfe von Primzahlen eine umfassende Analyse der Zahl 9114 in der Bibel durch (allerdings fand er nichts Wichtiges). Andere wandten ein, die Geschichte sei zu »vage« und zu »düster« und ich hätte fragwürdige Technologien beschrieben. Den meisten gefiel die Geschichte nicht. Einige waren sogar regelrecht erzürnt. Ein paar haben die Geschichte verteidigt.
    Aber keiner hat sie, glaube ich, wirklich

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