Helle Barden
Knuddel.
T.M.S.I.D.R. Schnapper wußte, wie man überlebte. Nagetiere und Insekten erkennen schon an ersten, kaum merklichen Vibrationen, daß ein schweres Erdbeben bevorsteht. Auf ähnliche Weise witterte Schnapper Probleme in den Straßen der Stadt. Knuddel war zu nett. Wenn ein Zwerg jemandem so freundlich begegnete, war eine Gemeinheit zu erwarten.
»Ich… äh… kümmere mich wieder ums Geschäft«, sagte Treibe-mich-selbst-in-den-Ruin und wich zurück.
»Ich habe natürlich nichts gegen
Zwerge«,
versicherte der Dicke unterdessen. »Ich meine, Zwerge sind wie richtige Leute. So sehe ich das. Kleinere Menschen, in gewisser Weise. Aber Trolle… Trolle sind eben
anders,
nich’ wahr?«
»Entschuldigung, Entschuldigung, Platz da, Platz da«, sagte Schnapper. Mit seinem Imbißwagen erreichte er eine Geschwindigkeit, für die man normalerweise ein Düsentriebwerk brauchte.
»Du hast da einen hübschen Mantel«, stellte Knuddel fest.
Schnappers Wagen sauste auf einem Rad um die Ecke.
»Ja, wirklich ein
hübscher
Mantel«, fuhr Knuddel fort. »Weißt du, was man mit einem solchen Mantel machen könnte?«
Der Mann runzelte die Stirn.
»Zieh den Mantel aus und gib ihn dem Troll«, sagte Knuddel.
»Na, so was! Du kleiner…«
Der Dicke packte den Zwerg am Kragen und zerrte ihn hoch.
Knuddels Hand bewegte sich sehr schnell. Metall kratzte.
Einige Sekunden lang verharrten Mensch und Zwerg absolut reglos. Dadurch boten sie einen interessanten Anblick.
Knuddels Kopf war auf einer Höhe mit dem Gesicht des Mannes. Interessiert beobachtete er, wie dessen Augen zu tränen begannen.
»Laß mich runter«, sagte Knuddel. »Ganz langsam. Ich kriege Zuckungen, wenn ich erschrecke.«
Der Arm des Dicken sank in Zeitlupe herab.
»Jetzt zieh den Mantel aus… gut so. Gib ihn mir.
Sehr
freundlich.«
»Deine Axt…«, brachte der Mann leise hervor.
»Axt? Welche Axt?
Meine
Axt?« Knuddel senkte den Blick. »Meine Güte. Wußte gar nicht, daß ich sie ausgerechnet dorthin gehalten habe. Tja, die Welt ist voller Überraschungen.«
Der Mann versuchte, auf Zehenspitzen zu stehen. Noch mehr Tränen lösten sich aus seinen Augen.
»Diese Axt hat einen sehr interessanten Aspekt«, dozierte Knuddel. »Es ist eine Wurfaxt. Drei Jahre hintereinander habe ich die Kupferkopf-Meisterschaft im Werfen von Wurfäxten gewonnen. Ich zog diese Axt und traf eine Sekunde später einen
kleinen
Zweig in einer Entfernung von dreißig Metern. Hinter mir.
Und
ich hatte eine Gallenkolik an jenem Tag.«
Er trat zurück. Der Mann sank dankbar auf die Füße.
Knuddel legte den Mantel um die Schultern des Trolls.
»Komm, steh auf. Laß uns heimkehren.«
Detritus stemmte sich hoch.
»Wie viele Finger zeige ich dir?« fragte Knuddel.
Der Troll sah aufmerksam hin.
»Zwei und noch einen?« erwiderte er unsicher.
»Das genügt«, sagte der Zwerg. »Fürs erste.«
Herr Käse blickte über die Theke auf Hauptmann Mumm. Der
Eimer
war an hingebungsvolle Trinker gewöhnt, die nicht nur fröhlich soffen, sondern den Alkohol mit der ernsten Entschlossenheit von Leuten, die der Nüchternheit für immer entkommen wollten, in sich hineinkippten. Das hier aber war neu und besorgniserregend. Der Wirt befürchtete, daß sich ein Todesfall anbahnte.
Niemand sonst befand sich in der Kneipe. Er hängte die Schürze an einen Haken und eilte zum Wachhaus. Am Eingang stieß er fast gegen Karotte und Angua.
»Oh, ich bin ja so froh, daß ich dir begegne, Korporal Karotte«, sagte der Wirt. »Du solltest besser mitkommen. Es geht um Hauptmann Mumm.«
»Was ist mit ihm passiert?«
»Keine Ahnung. Er hat ziemlich viel getrunken.«
»Ich dachte, er rührt das Zeug nicht mehr an!«
»Er scheint es sich anders überlegt zu haben«, erwiderte der Wirt kummervoll.
In der Nähe des Steinbruchwegs spielte sich folgende Szene ab.
»Wohin wir gehen?«
»Ich will dafür sorgen, daß dich jemand untersucht.«
»Keine Zwergendoktor!«
»Hier gibt’s bestimmt jemanden, der weiß, wie man dich mit schnell trocknendem Zement oder so behandelt. Ist es normal, daß du so sehr… äh… näßt?«
»Nicht wissen. Ich haben nie zuvor genäßt. Wohin wir gehen?«
»Keine Ahnung. Bin noch nie in dieser Gegend gewesen.«
Die »Gegend« erstreckte sich auf der Windseite eines Stadtviertels mit mehreren Viehhöfen und Schlachthäusern. Hier wollte niemand wohnen, abgesehen von Trollen, die organische Gerüche aller Art ebenso wahrnahmen wie Menschen den Duft von
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