Hendlmord: Ein Starnberger-See-Krimi (German Edition)
(hoffentlich können die beiden sich selbst auseinanderhalten) mit einigen Gesten zu signalisieren, dass sie mir nur schnell den Schlüssel herwerfen soll, damit ich abladen und die nächste Fuhre holen kann. Aber: Beratung geht vor. Nicht nur genau, sondern auch ausführlich, Näh- und Strickanleitung inklusive. Für dein Geld kriegst du einen Handarbeitskurs gratis dazu. Vor mir stehen ein paar Frauen, die ich noch nie gesehen habe. Dem Dialekt nach stammen sie aus der Peißenberger Gegend, bei ihnen wird aus jedem S ein SCH . Schtrümpf mit oder ohne Ferschn, heißt dann die Fußbedeckung bei ihnen.
Von den Textilstubenzwillingen ignoriert, werde ich dafür von den Kundinnen beäugt. Ich hoffe, dass es das übliche Exotische ist: Was sucht ein Mann im Handarbeitsladen? Oder hat sich die Hendlmordanklage bis zu den Alpen rumgesprochen? Und wenn, dann soll’s mir auch gleich sein. Ich spüre ihn schon auf, den richtigen Zuständigen, und dann setzt es was. Handschellen und mehr. Normalerweise nehme ich mir gern Zeit, hier rumzustehen, das bin ich seit Kindheit gewohnt, wo mich die Mama mit hergeschleppt hat. Damals gab’s noch keine Kinderecke, die Schwipps gehen nicht nur bei den neuesten Stricktrends mit der Zeit und bieten ihrer Kundschaft was.
Ich musste noch mit Nasenmanndl-Verbot strammstehen und gehorsam mitwarten, durfte nicht mal ‹pst› sagen, damit die Mama nichts von den Kundengesprächen verpasste. Erst mit dreizehn traute ich mich, solange draußen zu warten, obwohl es da genauso fad war wie drin, weil ich ja nicht auf der Friedhofsmauer balancieren durfte. Überhaupt war das eine dermaßen langweilige Zeit damals, bei der Warterei jetzt fällt es mir wieder ein, wie viele Stunden ich hier schon gestanden bin. Noch schlimmer wurde es dann ohne Wolfi als Freund und ohne Indianer-Figuren.
Ich fische das Bleichgesicht aus meiner Hosentasche und betrachte es. Die anderen Plastikmännchen, die ich von meinen großen Brüdern geerbt und mit Farbe selbst aufgefrischt habe, haben nicht überlebt, als ich mit dreizehn glaubte, zu alt zum Spielen zu sein. Jedenfalls hab ich das eines Tages beschlossen und in unserem Badofen, einem schmalen Kaldeweit, ein Feuer gemacht. Als er zu bullern anfing, formierte ich Bleichgesichter und Indianer sorgfältig auf dem Wannenrand. Ein letzter gemeinsamer Kampf gegen ein feuerspeiendes Ungeheuer stand ihnen bevor. Mit jaulendem Schlachtruf warf ich einen nach dem anderen in die Glut und schaute ihnen beim Zusammenschmelzen zu. Auch der Winnetou verlor die stolzen Gesichtszüge, ließ die Mundwinkel hängen, rollte seinen Kopf ein, bog sich bis zu den Mokassins hinunter und verklumpte zu einem Stumpf. Das Plastik tropfte durch den Gitterrost, und die Asche fing zu brennen an. Ich hab versucht mit einer alten Shampooflasche zu löschen.
Nach Zeter und Mordio hat die Mama geschrien, wie eine Stichflamme aus dem Ofen gehupft ist.
Heißen so die zwei Neuen bei der Feuerwehr, hab ich mich gefragt. Tatsächlich ist dann der große Einsatzwagen angerückt, mit zwei Kerlen in voller Montur. Die haben für einen Schweinsbraten und einige Maß Bier hinterher den Brand vorher gelöscht. Nur einen, den Old Shatterhand, warum ausgerechnet den, weiß ich auch nicht, hab ich mir als Notreserve aufgehoben, falls noch mal ein Spieldrang daherkäme. Ohne Traktorführerschein, den ich endlich mit vierzehn machen durfte, wäre ich damals wahrscheinlich vor Langeweile gestorben. Erst hat mich also der Tiger gerettet und ein paar Jahre später die Sophie.
Auch wenn ich also diesem Meditationsraum, Textilstube genannt, meine innere Ruhe verdanke, quetsche ich nun doch den Old Shatterhand in meiner Hand zusammen. Normalerweise erinnere ich mich gern an früher und lerne von mir aus auch was über Revers und das möglichst faltenfrei ordentliche Ausbügeln von Busenabnähern dazu, aber heute bin ich auf Kohlen. Je länger die Berta die Nahtzugabe ausrechnet, vom Verstürzen redet und erklärt, von welchem bis zu welchem Stich der Stepplinie der Gabardine schräg eingeschnitten wird, wurlen mir der Fidl im Krankenhaus und die Senioren im Hirn rum. Was soll ich denn nun der Sophie erzählen?
«Telefon für dich, Muck.» Die Bertaerna winkt mich hinter das Garnregal, wo noch ein Apparat mit Wählscheibe und Gabel hängt. Ich hör meine Sophie schluchzen, wie ich drangehe, und im Laden ist es auf einmal mucksmäuschenstill. Der Melcher Sepp betritt, schwer schleppend und keuchend wie
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