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Henkerin

Titel: Henkerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Martin
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auf, dem du das Schreiben mitgibst?«
    »Morgen.«
    »Und er ist wirklich zuverlässig?« Der Überbringer des Briefs war der einzige Schwachpunkt an ihrem Plan. Wenn er verriet, von wem das Schreiben tatsächlich stammte, würden Wendel und sie und nicht Ottmar de Bruce vor Gericht gestellt werden.
    »Er schuldet mir einen Gefallen«, antwortete Wendel. »Außerdem wird eine nicht unbeträchtliche Summe dafür sorgen, dass sein Mund verschlossen bleibt.«
    »Das hoffe ich.« Melisandes Magen zog sich zusammen.
    Wendel steckte den Brief ein, von unten rief seine Mutter. Er verdrehte die Augen. »Bestimmt ist der Gewandschneider gekommen«, stöhnte er. »Wegen des Stoffs für das Hochzeitsgewand. Ich bin noch nicht verheiratet und muss mich doch schon dauernd mit meiner zukünftigen Gemahlin beschäftigen. Wie wird das erst sein, wenn sie mit mir unter einem Dach lebt?«
    Melisande versuchte ein spöttisches Grinsen, doch es misslang ihr gründlich.
    Wieder rief Katherina.
    »Frauen soll man nicht warten lassen«, sagte Wendel entschuldigend und schob eilig den Riegel zur Seite. Auf der Schwelle wandte er sich noch einmal um. »Du solltest dir in der Küche einen heißen Fencheltee mit Honig zubereiten lassen. Mir scheint, dass deine Halsentzündung wieder schlimmer geworden ist.«
    Nachdem die Tür zugefallen war, ließ Melisande sich auf das Strohlager sinken. Von der überschwänglichen Freude, die sie noch vor wenigen Stunden empfunden hatte, war nichts mehr übrig. Die Falle für Ottmar de Bruce war aufgestellt. Und das bedeutete nicht nur, dass die Stunde der Rache nah war, sondern auch, dass ihre Tage in Reutlingen gezählt waren.
***
    Wendel rannte die Treppe hinunter in die Schankstube, wo seine Mutter ihn ungeduldig erwartete.
    »Wo hast du denn gesteckt, Wendel? Der Gewandschneider wartet! Meister Hellich hat noch andere Kundschaft, es ist unhöflich, ihm so die Zeit zu stehlen. Du musst endlich aussuchen, aus welchem Stoff dein Hochzeitsgewand gefertigt werden soll.«
    »Hier bin ich, Mutter. Wo steckt der gute Mann?«
    Sie seufzte. »In der Stube. Mach schon, beeil dich.« Sie eilte voraus, entschuldigte sich in Wendels Namen überschwänglich für die Verspätung und lobte in den höchsten Tönen die Auswahl an Samt und Seide, die bereits über den Tisch und die Stühle ausgebreitet war.
    Wendel achtete kaum darauf, welche Stoffe Meister Hellich ihm vorführte und welche Schnitte er vorschlug. Seine Gedanken drifteten weg von der Stube, hinauf in die Kammer, wo er Merten zurückgelassen hatte. Jede Stunde des Tages konnte er mit seinem Freund verbringen, ohne dass es ihm lästig oder langweilig wurde. Sie hatten den gleichen Geschmack, teilten die gleichen Vorstellungen, lachten über die gleichen Scherze. Es war, als hätte er seinen Zwillingsbruder getroffen, sein zweites Ich. Merten war ihm in vielen Dingen ähnlich, und dort, wo er anders war, ergänzte er ihn perfekt. Wenn er nicht mit ihm zusammen war, fehlte ihm etwas.
    Aber da war noch etwas. Etwas, das Wendel glücklich machte und zugleich mit großer Angst erfüllte. Vor zwei Tagen, in der Nacht, als er mit Merten draußen gesessen und ihm von Elisabeth erzählt hatte, hatte er es zum ersten Mal gespürt. Das Bedürfnis, Merten zu berühren, ihm über das Gesicht zu streichen oder über das Haar. Später, als sie ins Haus gegangen waren, waren sie an der Tür zur Schankstube zusammengestoßen. Die Berührung war durch seinen Körper gefahren wie ein Blitzschlag. Merten hatte ihn einen Herzschlag lang ganz seltsam angesehen. Deshalb glaubte Wendel, dass auch er es gespürt hatte. Doch was hatte das zu bedeuten? Konnte es sein, dass er für Merten empfand, was er eigentlich für eine Frau empfinden sollte? War das der Grund, warum er für die süße, zauberhafte Engellin, um die ihn jeder Mann in Reutlingen beneidete, nichts empfinden konnte?
    Irgendetwas stimmte nicht. Der Schneider und Katherina starrten ihn merkwürdig an. Hatte er etwa seine Gedanken laut ausgesprochen?
    »Mein Junge, willst du Meister Hellich nicht seine Frage beantworten?«
    »Natürlich ... ja«, stotterte Wendel. Hilflos glitt sein Blick über die unzähligen Stoffbahnen.
    »Welche Farbe wünschst du denn nun für dein Gewand, Wendel?« Eine steile Falte zeichnete sich auf Katherinas Stirn ab.
    »Blau«, sagte er rasch, froh, dass eine einfache Antwort gefragt war. »Ich wünsche ein blaues Gewand.«
    Der Gewandschneider lächelte zufrieden. »Eine vorzügliche Wahl,

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