Herbstfeuer
bekümmert. „Zumindest nicht, wenn ich es trage.“
Lillian warf Evie einen Blick zu. „Was ist mit dir, Liebes? Hast du Glück gehabt?“
Daisy antwortete an ihrer Stelle. „Evie hat niemanden nahe genug herangelassen, um das herauszufinden.“
„Nun, ich werde St. Vincent die Gelegenheit geben, ausführlich daran zu schnuppern. Meine Güte, auf einen berüchtigten Schürzenjäger sollte dieses Parfüm doch irgendeine Wirkung haben!“
„Aber wenn dich jemand sieht…“
„Niemand wird uns sehen“, unterbrach Lillian sie mit einem Anflug von Ungeduld. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass es in ganz England einen Mann gibt, der mit heimlichen Stelldicheins mehr Erfahrung hat als Lord St. Vincent.“
„Du solltest besser vorsichtig sein“, mahnte Daisy. „Ein Stelldichein ist eine gefährliche Sache. Ich habe viel darüber gelesen, und viel Gutes scheint nicht dabei herauszukommen.“
„Es wird auf alle Fälle ein kurzes Stelldichein werden“, versicherte Lillian. „Höchstens eine Viertelstunde. Was soll in einer solchen Zeitspanne schon passieren?“
„Nach dem, was Annabelle s-sagt“, meinte Evie Unheil verkündend, „eine ganze Menge.“
„Wo ist Annabelle überhaupt?“, fragte Lillian und bemerkte erst jetzt, dass sie sie während des ganzen Abends noch nicht gesehen hatte.
„Sie fühlte sich nicht gut, die Arme“, sagte Daisy. „Sie wirkte ein wenig blass um die Nase. Ich fürchte, etwas beim Lunch ist ihr nicht bekommen.“
Lillian verzog das Gesicht und schüttelte sich. „Bestimmt war es etwas mit Aal oder Hühnerfüßen …“
Daisy lächelte. „Tu das nicht, sonst wird dir übel. In jedem Fall kümmert sich Mr. Hunt um sie.“
Sie traten durch die Flügeltüren an der Rückseite der Eingangshalle hinaus auf die leere Terrasse. Daisy drehte sich um und drohte Lillian mit dem Finger. „Solltest du länger als eine Viertelstunde fortbleiben, werden Evie und ich dich holen kommen.“
Lillian lachte leise. „Ich werde nicht trödeln.“
Sie zwinkerte Evie zu, die ein besorgtes Gesicht machte. „Alles wird gut gehen, Liebes. Und denk an alle die interessanten Dinge, die ich dir erzählen werde, wenn ich zurückkomme.“
„Genau davor fürchte ich mich“, erwiderte Evie.
Lillian raffte die Röcke und stieg die Stufen in die terrassenartig angelegten Gärten hinunter, vorbei an einer der alten Hecken, die um die unteren Terrassen eine undurchdringliche Mauer bildeten. Der Garten, von Fackeln erleuchtet, duftete nach Herbst, und herbstlich waren auch die Farben – golden und kupfern das Laub, gesäumt von Rosen und Dahlien, während blühende Gräser und Mulch den Boden bedeckten und die Luft mit ihren schweren Gerüchen erfüllten.
Sie hörte das heitere Plätschern des Nixenbrunnens und folgte einem gepflasterten Pfad zu der kleinen Lichtung, die von einer einzigen Fackel erleuchtet wurde. Neben dem Brunnen bemerkte sie eine Bewegung – eine Gestalt, nein, zwei Menschen, die eng aneinandergeschmiegt auf einer der Steinbänke saßen. Sie unterdrückte einen überraschten Aufschrei und wich hinter die Hecke zurück. Lord St. Vincent hatte vorgeschlagen, sie hier zu treffen – aber der Mann auf der Bank war gewiss nicht er – oder doch? Verwirrt schlich sie ein Stück weiter vor, um an der Hecke vorbeispähen zu können.
Bald erkannte sie, dass das Paar so vertieft ineinander war, dass eine Elefantenherde unbemerkt an ihnen hätte vorüberstampfen können. Das hellbraune Haar der Frau hatte sich gelöst, und die dichten Locken hingen bis tief über ihr Kleid, das am Rücken teilweise geöffnet worden war. Ihre schlanken weißen Arme ruhten auf seinen Schultern, und sie seufzte leise, als er den Ausschnitt tiefer nach unten zog und die sanften Rundungen ihrer Schultern küsste. Dann hob er den Kopf und sah sie an, voller Leidenschaft, ehe er sich vorbeugte, um sie zu küssen. Plötzlich erkannte Lillian das Paar – es waren Lady Olivia und ihr Gemahl, Mr. Shaw. Verlegen und neugierig zugleich zog sie sich hinter die Hecke zurück, gerade in jenem Moment, da Mr. Shaw seine Hand in den Rückenausschnitt des Kleides schob. Es war die intimste Szene, die sie je beobachtet hatte.
Und die intimsten Laute, die sie je gehört hatte – leise Seufzer und Liebesworte und ein unaussprechlich zärtliches Lachen seitens Mr. Shaw, das Lillian erschauern ließ. Ihr Gesicht war hochrot vor Verlegenheit, als sie lautlos zurückwich. Nun, da der Platz ihres
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