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Herbstfeuer

Herbstfeuer

Titel: Herbstfeuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Kleypas
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rascheln hörte, wurde ihr bewusst, dass sie ihre frühere Heimat inzwischen zwiespältig betrachtete. Es war ein leeres Dasein gewesen, eine endlose Reihe von Zerstreuungen und Modetorheiten. Und die Londoner Gesellschaft erschien ihr kaum besser. Nie hätte sie erwartet, dass ein Ort wie Hampshire ihr gefallen könnte, und doch – hier könnte man wirklich leben, dachte sie sehnsüchtig. Ein Leben, das sie vollkommen erfüllte, statt sich immer über die unbekannte Zukunft Gedanken zu machen.
    Ohne zu merken, dass sie verstummt war, betrachtete sie gedankenverloren die vorüberziehende Landschaft, bis St. Vincent sie leise aufschreckte.
    „Haben Sie wieder die Sprache verloren?“
    Sie sah in seine hellen, lächelnden Augen, während Daisy und Mercedes auf dem gegenüberliegenden Sitz plauderten.
    „Ich weiß ein gutes Heilmittel“, sagte er, und sie lachte verlegen, während sie errötete.
    Entspannt und gut gelaunt nach der Kutschfahrt mit St. Vincent, hörte Lillian ihrer Mutter nur mit halbem Ohr zu, als diese über den Viscount sprach, während sie ihr Zimmer betraten. „Natürlich müssen wir mehr über ihn in Erfahrung bringen, und ich werde die Aufzeichnungen über unseren Adelsbericht zurate ziehen, um festzustellen, ob ich etwas übersehen habe. Bloß wenn mein Gedächtnis mich nicht im Stich lässt, so verfügt er über ein bescheidenes Vermögen, und seine Herkunft sowie die Erziehung sind gut…“
    „Ich würde mich für die Vorstellung, Lord St. Vincent als Schwiegersohn zu bekommen, nicht zu sehr begeistern“, sagte Lillian zu Mercedes. „Er spielt mit Frauen, Mutter. Ich vermute, eine Heirat erscheint ihm nur wenig reizvoll.“
    „So war es bisher“, gab Mercedes zurück und runzelte die Stirn. „Aber irgendwann wird er heiraten müssen.“
    „Wird er das?“, fragte Lillian, die keineswegs überzeugt war. „Sollte das tatsächlich der Fall sein, so bezweifle ich, dass er die gewöhnlichen Vorstellungen über eine Ehe hegt. Treue zum Beispiel.“
    Mercedes trat an eines der Fenster und blickte hinaus. Ihre beinahe knochigen Finger zupften an den Vorhängen.
    „Auf die eine oder andere Weise sind alle Ehemänner untreu.“
    Lillian und Daisy sahen einander mit hochgezogenen Brauen an.
    „Vater nicht“, gab Lillian zurück.
    Mercedes lachte, und es klang wie das Rascheln von trockenem Laub. „Nein, meine Liebe? Vielleicht ist er mir körperlich treu geblieben – ganz sicher kann man in diesen Dingen niemals sein. Aber seine Arbeit ist eine wesentlich eifersüchtigere und forderndere Geliebte, als eine Frau aus Fleisch und Blut es jemals sein könnte. All seine Träume sind auf diese Ansammlung von Gebäuden, Angestellten und Werten gerichtet, die ihn vollkommen beschäftigen. Wäre meine Konkurrenz eine Frau gewesen, so hätte ich das leicht ertragen können, denn Leidenschaften vergehen, und Schönheit währt nur einen Augenblick. Eine Firma hingegen wird weder altern noch krank werden – sie wird uns alle überleben. Wenn du das Interesse und die Zuneigung deines Gemahls nur ein Jahr für dich haben kannst, so wirst du mehr bekommen, als ich je hatte.“
    Es war Lillian immer bewusst gewesen, wie die Dinge zwischen ihren Eltern standen, ihr Desinteresse aneinander wäre auch kaum zu übersehen gewesen. Doch jetzt geschah es zum ersten Mal, dass Mercedes darüber sprach, und ihre brüchige Stimme versetzte Lillian einen Stich, so viel Mitleid empfand sie.
    „Einen solchen Mann werde ich nicht heiraten“, sagte Lillian.
    „Derartige Illusionen passen nicht zu einem Mädchen in deinem Alter. Mit einundzwanzig Jahren hatte ich bereits zwei Kinder geboren. Es ist an der Zeit für dich zu heiraten. Und wer auch immer dein Gemahl werden wird oder wie sein Ruf sein mag – du solltest ihn nicht um Versprechen bitten, die er vielleicht nicht halten kann.“
    „Dann heißt das, er kann sich benehmen, wie er will, und mich behandeln, wie es ihm angemessen erscheint, solange er nur von Adel ist?“, gab Lillian zurück.
    „Das ist richtig“, erwiderte Mercedes finster. „Nach dem Geld, das dein Vater in dieses Unternehmen investiert hat – die Kleider, die Hotelrechnungen und all unsere anderen Ausgaben –, bleibt euch keine Wahl, keiner von euch, ihr müsst einen Aristokraten einfangen. Außerdem werde ich nicht geschlagen nach New York zurückkehren und mich zum Gespött der Leute machen, weil es meine Töchter nicht geschafft haben, in den Adel einzuheiraten.“ Damit

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