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Herbstvergessene

Titel: Herbstvergessene Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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Charme, der mir wie eine Oase vorkam inmitten dieser Wüste aus Stein. Plötzlich hatte ich ein Gefühl von Vertrautheit, mit dem ich im ersten Moment nichts anzufangen wusste. Und dann kam die Erinnerung an Omas Haus in Ligurien. Dieses unglaubliche Blau des Himmels, das mit dem Blau des Meeres verschmolz. Ein paar Krähen tauchten auf, ich hörte ihre heiseren Rufe durch das geschlossene Fenster. Sie ließen sich auf einem Baum im Garten nieder und verharrten dort reglos, schwarze Scherenschnitte auf schwarzen Scherenschnittzweigen.
    Ich hörte ein Geräusch hinter mir und sah Prohacek eintreten, im weißen Ärztekittel, eine Kladde in der Hand und einen Umschlag. Sein Gesichtsausdruck war gleichmütig, neutralfreundlich, und verriet nichts. Völlig unvermittelt spürte ich einen heißen und völlig unsinnigen Zorn in mir aufsteigen. Auf die Situation, auf Mutter, auf mich, auf diesen Mann, der so milde und unbeteiligt hier hereinkam und mir mit keinem Muskel seines Gesichts verriet, wie es um mich bestellt war. Konnte er sich nicht denken, wie ich seiner beschissenen »Diagnose« entgegenfieberte? Und so erwiderte ich seinen Händedruckkaum und blickte ihn wütend an. »Und?«, entfuhr es mir so barsch, dass er irritiert dreinschaute. Dann räusperte er sich, schüttelte den Kopf und ein Lächeln entspannte seine Züge. »Mir war nicht bewusst, dass Sie ernsthaft besorgt waren, liebe Maja! Alles ist in bester Ordnung und für die Übelkeit und Schwäche gibt es eine sehr plausible Erklärung. Sie sind schwanger.«
    Ich musste ihn angesehen haben wie eine Erscheinung, denn sein Lächeln verrutschte leicht, während er nachhakte. »Das ist doch eine schöne Neuigkeit, ist es nicht?« Und während die eine Hälfte meines Gehirns dachte, dass er sich anhörte wie Fünfuhrteefix aus
Asterix bei den Briten
, versuchte die andere Hälfte, die Nachricht durch sämtliche Windungen meines Gehirns bis zum Ziel zu befördern.
    Mein allererster Gedanke war, dass ich mir nachher gleich einen Schwangerschaftstest besorgen musste, denn wie konnte ich nach dem Gespräch mit Erna sicher sein, dass er die Wahrheit sagte? Ich kannte mich nicht aus mit Schwangerschaften. Ich war zwar Anfang vierzig und hatte in meinem Bekanntenkreis hin und wieder Erzählungen über die Leiden und Gebrechen in den Zeiten guter Hoffnung gelauscht, doch war mein Interesse daran stets oberflächlich und beiläufig gewesen. Ich hatte nie vorgehabt, Kinder zu bekommen. Bis zu jenem schicksalhaften Tag im Januar, an dem ich in einem Anflug von Verwirrung mein Leben ändern wollte und eine Dreimonatspackung Kontrazeptiva im Klo hinuntergespült hatte.
    »Das ist doch eine gute Nachricht?«, wiederholte Prohacek. Sein Ton war vorsichtig, tastend. Und als ich immer noch nicht reagierte, sagte er: »Bitte, liebes Kind, nun setzen Sie sich doch erst einmal.«
    Und während er mir ein Glas Leitungswasser reichte, das ich mit beiden Händen festhielt, fühlte ich seinen besorgten Blick auf mir. Flüchtig schoss es mir durch den Kopf, dass das – wenn ich Erna glaubte – der Mann war, der sie um fünfzigtausendEuro erleichtert hatte. Langsam schüttelte ich den Kopf. Das war alles zu viel für mich.
    »Ein Baby!«, war schließlich alles, was ich herausbrachte. Zwar hatte ich in letzter Zeit so manches Mal darüber nachgedacht, wie es sein könnte, mit einem Kind zu leben. Doch konkreteren Gedanken daran hatte ich mich nie gestellt.
    »Schalten Sie ein paar Gänge zurück. Das alles war doch sehr viel für Sie, Maja!« Er beugte sich vor und sah mich eindringlich an. »Haben Sie denn niemanden, der Sie ein bisschen verwöhnen kann?«
    Ich schüttelte den Kopf. Stumm.
    »Dann nehmen Sie sich doch ein paar Tage Zeit. Fahren Sie weg, an einen schönen Ort, und machen Sie sich mit dem Gedanken vertraut.«
    Plötzlich hatte ich eine Idee. Ich stellte das Wasserglas ab und sah ihn an.
    »Ja«, sagte ich und stand auf. »Sie haben recht.« Der Himmel aus blauem Glas erschien auf meiner Netzhaut. »Und ich weiß auch schon, wo ich hinfahren werde.«
     
    Zu Hause packte ich Kleider, Toilettensachen, Mutters und Omas Unterlagen, Vorräte, einen Campingkocher, falls die Gasflasche im Haus mal wieder leer wäre, und sogar meinen Bikini ein. Vielleicht wäre es dort schon ein wenig warm. Ich würde mich erholen, in der ligurischen Sonne liegen, in den Himmel blicken, in die grünen Berge eintauchen und Omas Unterlagen noch einmal lesen. Und nachdenken, viel nachdenken. Über

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