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Herr aller Dinge - Eschbach, A: Herr aller Dinge

Herr aller Dinge - Eschbach, A: Herr aller Dinge

Titel: Herr aller Dinge - Eschbach, A: Herr aller Dinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Eschbach
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Aufeinandertreffen am MIT bereits ihre zweite Zusammenkunft gewesen war. Tatsächlich sollten er und Hiroshi einander nie wieder begegnen.
    Charlotte hatte den ganzen Sonntag zu Hause verbracht, in ihrem Lieblingssessel, und Löcher in die Luft gestarrt. Sie hatte das Telefon klingeln lassen, nicht reagiert. Nur dasitzen, die Beine angezogen, die Arme darum geschlungen, und möglichst nicht an vergangene Nacht denken …
    Daran, wie sie alles um sich vergessen hatte. Wie sie völlig die Kontrolle verloren hatte. Wie sie und Hiroshi förmlich verschmolzen waren. So etwas hatte sie noch nie erlebt, und es machte ihr Angst. Sie hatte einfach flüchten müssen!
    Zum Glück knurrte irgendwann ihr Magen, veranlasste sie, in die Küche zu gehen und sich einen Kaffee und ein Toastbrot zu machen. Die Tasse in der Hand starrte sie aus dem Fenster,hinaus in den sonnendurchfluteten Tag. Die Blätter der Bäume glitzerten im Licht. Alles sah so friedlich aus, so lebenshungrig.
    Seltsam, dass sie sich keine Sorgen wegen James machte, überlegte sie. Irgendwie schien er mit alldem nichts zu tun zu haben. Was geschehen war, ging ihn nichts an, war eine Sache zwischen ihr und Hiroshi. Vielleicht ging es sogar nur sie selbst etwas an?
    Danach wanderte sie unruhig durch ihre Wohnung. Sie betrachtete ihren Computer, als wäre er ein Eindringling, und ihr Bücherregal, als handle es sich um einen Krankheitsherd. Sie konnte etwas an ihrer Hausarbeit machen. Sie hatte nicht die Spur von Lust dazu, sagte sich aber, dass sie das ablenken würde.
    Und so war es. Sie versank in dem Text, in den Büchern, schrieb wie in Trance über Zeiten, die Jahrhunderttausende in der Vergangenheit lagen. Sie reagierte nicht, als James vor dem Haus auftauchte, öffnete nicht, als er läutete.
    Sie blieb auch am Montag zu Hause. Unmöglich, an die Uni zu gehen und so zu tun, als sei nichts geschehen, als sei alles wie immer. Sie wollte niemanden sehen, niemanden sprechen. Heute war ein Tag, an dem ihr das ewige amerikanische Lächeln und Gut-Drauf-Sein auf die Nerven ging. Irgendetwas kochte in ihr, dicht unter der Oberfläche, und ein grinsendes »Hi!« oder eine Zusicherung, etwas sei »great«, würde genügen, sie in Schreikrämpfe ausbrechen zu lassen.
    Wenn sie an Samstagabend dachte, kam es ihr vor, als seien es die Erinnerungen einer ganz anderen Person. Was war in sie gefahren, zu Hiroshi zu gehen, sich ihm förmlich aufzudrängen? Nun war diese Freundschaft zerstört, unwiederbringlich.
    Sie setzte sich wieder an ihren Computer, konnte sich aber nicht konzentrieren. Stattdessen beobachtete sie die Wanduhr und malte sich aus, wo sie in dem Moment gewesen wäre und was sie getan hätte, wäre das mit Hiroshi nicht passiert.
    Das Telefon klingelte. Diesmal nahm sie ab. Es war Brenda, die sich erkundigte, ob sie gut nach Hause gekommen und wie ihr Wochenende gewesen sei. Charlotte sagte irgendetwas, wasBrenda verstehen ließ, dass sie im Moment nicht darüber reden wollte.
    »Ich wollte dich was fragen«, sagte Brenda. »Und zwar wegen Thomas … ich meine, Dr. Wickersham.«
    Charlotte hob die Brauen. Thomas? »Ja?«
    »Er hat mich gestern angerufen. Er will mit mir ausgehen. Und da wollte ich dich fragen, ob er okay ist.«
    Sie fragte nicht, ob sie mit ihm ausgehen sollte . Brenda war keine, die andere fragte, was sie tun sollte – das wusste sie schon selber.
    Konnte man sagen, dass Wickersham »okay« war? Er war anständig, gewissenhaft. Er war solide, obwohl er noch Junggeselle war – die Paläoanthropologie, vor allem, wenn man Feldforschung betrieb, lud nun mal nicht zu früher Bindung ein. Er konnte lustig sein, gute Laune um sich verbreiten, aber was seinen Unterricht anbelangte, war er ernsthaft. Sein Fach war ihm wichtig, genau wie seine Schüler. Und er war unbestechlich. Er war keiner, bei dem man einen entsprechenden Versuch auch nur gewagt hätte.
    Er war, kam Charlotte mit jähem Schmerz zu Bewusstsein, all das, was James nicht war.
    »Ja. Wickersham ist okay«, sagte sie und musste gegen aufsteigende Tränen ankämpfen. »Brenda, er ist total okay.«
    Das Zittern begann erst, als er zu Hause war. Wenigstens eine Viertelstunde lang saß Hiroshi wie gelähmt auf seinem Schreibtischstuhl, während ihm nachträglich der Schweiß ausbrach. Noch nie in seinem Leben war er mit derart geballter Aggression … nein, mit solch einem regelrechten Vernichtungswillen konfrontiert worden! Natürlich konnte er sich hundertmal sagen, dass James ein

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