Herr aller Dinge - Eschbach, A: Herr aller Dinge
beugte sich vor und griff nach dem Zündschlüssel. Im Grunde war es vielleicht sogar besser, dass es so gekommen war. Hiroshi und sie, das hätte noch weniger Zukunft gehabt als die Geschichte mit James. So blieb wenigstens eine schöne Erinnerung.
Sie ließ den Wagen an und fuhr davon.
Zuerst waren es nur Wolken, unter denen man eine große Landmasse erahnte. Dann tauchte eine zerklüftete, bewaldete Küste auf, Inseln, gewaltige Flussmündungen im Hintergrund, schließlich diese unglaubliche Ansammlung von Hochhäusern, die aus der Luft wie eine seltsame kristalline Struktur aussahen. Und am Ende der Flughafen, der eine ganze Insel für sich beanspruchte.
Hiroshi spähte aus dem Kabinenfenster. Das also war Hongkong.
Als er die Zollkontrolle passierte, seine beiden Koffer auf einem Rollwagen, erblickte er, wie vereinbart, seinen Namen auf einem Schild. Der Mann, der es hochhielt, war groß und breitschultrig, sah aus wie ein Ringer und war, wie Hiroshi merkte, als er sich zu erkennen gab, von einer Ernsthaftigkeit, die einem Angst machte.
»Mein Name ist Ku Zhong«, erklärte der Mann in tadellosem, chinesisch gefärbten Englisch. »Ich bin Mister Gus persönlicher Assistent. Ich habe den Auftrag, Sie zu fragen, ob Sie zuerst in Ihr Hotel gehen und sich ausruhen wollen, oder ob Sie sofort mit Mister Gu zu sprechen wünschen.«
Hiroshi hatte einen 25-Stunden-Flug hinter sich, aber er brannte darauf, mit Larry Gu zu sprechen, jenem geheimnisumwitterten chinesischen Milliardär, von dem Rasmussen erzählt hatte, dass er 81 Jahre alt sei und seine Ärzte permanent vor Rätsel stelle, weil er seinen Laborwerten zufolge eigentlich tot sein müsste. »Wenn es Mister Gu recht ist, würde ich gern sofort mit ihm reden.«
Zhong nickte mit steinernem Gesicht. »Das deckt sich inhervorragender Weise mit Mister Gus Hoffnungen. In diesem Fall werde ich Sie jetzt in sein Büro bringen.« Er machte eine knappe Bewegung in eine Richtung, in der vermutlich irgendwo der Ausgang lag. »Wenn Sie mir zum Wagen folgen wollen.«
Bei dem Wagen handelte es sich um eine gestreckte Limousine mit dunkel getönten Scheiben, wie im Film. Hiroshi hatte unwillkürlich erwartet, dass Zhong ihn auch chauffieren werde, aber tatsächlich wartete ein Chauffeur auf sie, öffnete ihnen den Wagenschlag, verstaute anschließend Hiroshis Gepäck, und los ging es.
Sie verließen das Flughafengelände und fuhren über eine sechsspurige Brücke auf die Phalanx der Hochhäuser Hongkongs zu. Es herrschte wenig Verkehr; außer ihnen schienen nur Taxen, Lieferwagen und Busse unterwegs zu sein. Wie sein Flug gewesen sei, erkundigte sich Zhong pflichtschuldig. Gut, erwiderte Hiroshi und bedankte sich. Dann bekam Zhong einen Anruf und redete den Rest der Fahrt streng auf seinen Gesprächspartner ein, in schnellem Kantonesisch, von dem Hiroshi kein Wort verstand.
Schließlich bog die Limousine vor irgendeinem der zahllosen Türme aus Stahl und Glas ab und glitt hinab in die luxuriöseste Tiefgarage, die Hiroshi jemals gesehen hatte. Ein Aufzug wartete bereits, die Türen geöffnet. »Bitte«, sagte Zhong.
Sie stiegen aus, betraten die Kabine und wurden in die Höhe katapultiert.
Hell erleuchtete Räume erwarteten sie, Raumteiler aus nachtschwarzem Marmor, Säulen aus Chrom, Männer und Frauen, die sich verneigten. Dahinter eine zweiflügelige Tür, die so hoch war, als müssten Elefanten sie passieren.
»Mister Gus Büro«, erklärte Zhong und hielt eine Codekarte vor ein Lesegerät. »Ich werde hier draußen auf Sie warten.« Die Türflügel öffneten sich geräuschlos.
Hiroshi blieb an der Schwelle stehen. Das war kein Büro, das war eine Kathedrale. Die Decke des Raumes verschwand im Halbdunkel. Die gesamte gegenüberliegende Wand bestand auseiner Fensterfront, die einen überwältigenden Ausblick auf das Zentrum Hongkongs bot, über das der Abend hereinbrach. Der Schreibtisch vor diesem Fenster, tiefschwarz, nahezu leer und geradezu unirdisch glänzend, hatte die Abmessungen eines Tennisplatzes.
Und hinter diesem Tisch, in einem gewaltigen Sessel aus rotgoldenem Leder, saß ein verhutzelter, kahlköpfiger Mann mit einem langen weißen Bart. Er wirkte uralt und unscheinbar, doch mit der Energie, die von ihm ausging, füllte er den Raum mühelos.
»Guten Tag, Mister Kato«, sagte er mit einer dünnen Stimme, die klang, als werde sie von einem gespannten Draht erzeugt. »Treten Sie ruhig näher.«
Hiroshi holte tief Luft und trat über die Schwelle.
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